Je öfter Antibiotika angewendet werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheitserreger gegen die verwendeten Wirkstoffe resistent werden. Insbesondere im Fall von Tuberkulose spielen solche antimikrobiellen Resistenzen eine enorm wichtige Rolle, da während der Therapie gleich mehrere Wirkstoffe über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten eingesetzt werden müssen, um den hartnäckigen Erreger erfolgreich bekämpfen zu können. In Europa liegt der Anteil an resistenten Tuberkuloseerregern im Durchschnitt bereits bei 20 Prozent, in einigen Regionen Afrikas oder Asiens noch deutlich darüber. Weltweit versterben jährlich rund 1,3 Millionen Menschen an Tuberkulose, bei der durch Stechmücken übertragenen Krankheit Malaria liegt die Zahl bei etwa 600.000. Damit sich diese Situation nicht weiter verschlimmert und die beiden Infektionserkrankungen auch in Zukunft erfolgreich behandelt werden können, werden neue resistenzbrechende Wirkstoffe dringend benötigt. Dieser Aufgabe widmen sich Forschende des HIPS gemeinsam mit Evotec im Rahmen eines durch die Bill & Melinda Gates Foundation geförderten Projektes. Das HIPS ist ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes. Außerdem ist das HIPS an zahlreichen Projekten des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) beteiligt. Als Koordinator des Forschungsbereichs „Neue Antibiotika“ nimmt Prof. Rolf Müller auch im DZIF eine wichtige Schnittstellenposition für die Entwicklung neuer Wirkstoffe ein.
Im Rahmen des Projektes wollen die Forschenden zuvor identifizierte Wirkstoffkandidaten weiterentwickeln, mit denen sich die beiden Infektionserkrankungen Tuberkulose und Malaria behandeln lassen – auch wenn die Erreger bereits gegen gängige Wirkstoffe resistent sind. Grundlage hierfür sind Substanzen, die von Bodenbakterien produziert werden, um konkurrierende Bakterien zu bekämpfen. „Wir konzentrieren uns bei der Suche nach neuen Wirkstoffen ausschließlich auf Moleküle, die über bislang ungenutzte Wirkmechanismen verfügen. So vermeiden wir, dass ein neues Medikament durch bereits verbreitete Resistenzen in seiner Effektivität eingeschränkt wird“, sagt Jennifer Herrmann, Teamleiterin Biologie in der Abteilung für Mikrobielle Naturstoffe am HIPS. „Wir haben sowohl gegen Tuberkulose als auch gegen Malaria wirksame Substanzen in unserem Portfolio, die wir nun im Rahmen des Projekts so optimieren wollen, dass sie letztlich sicher in der Humantherapie eingesetzt werden können.“
Die bereits etablierten Wirkstoffkandidaten aus früheren Screening-Programmen werden u.a. mithilfe der von Evotec etablierten Plattformen weiter profiliert. Ein Droplet-Mikrofluidik-basiertes Screeningmodell ermöglicht es, neue mikrobielle Naturstoffe zu identifizieren und für die Entwicklung neuer Antibiotika zu nutzen.
Eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und der pharmazeutischen Industrie scheint naheliegend, ist jedoch im Bereich der Antibiotikaforschung eher eine Seltenheit. „Die meisten großen Pharmaunternehmen haben in den vergangenen zehn Jahren aus ökonomischen Gründen die Entwicklung neuer Antibiotika eingestellt. Wir sehen uns dennoch in der Verantwortung, dieses Thema weiter zu bearbeiten, da neue Wirkstoffe dringend benötigt werden. Dank der Unterstützung durch die Gates Foundation freuen wir uns, zu einer engen Zusammenarbeit zwischen der akademischen Forschung und der pharmazeutischen Industrie auf diesem wichtigen Gebiet beizutragen“, sagt Dr. Cord Dohrmann, Chief Scientific Officer von Evotec.
Zusätzlich zur Förderzusage durch die Bill & Melinda Gates Foundation wurde das HIPS als Mitglied in den Tuberculosis Drug Accelerator aufgenommen. Hierbei handelt es sich um einen ebenfalls durch die Stiftung koordinierten Zusammenschluss führender Forschungseinrichtungen und pharmazeutischer Unternehmen, die neue Strategien und Wirkstoffe gegen Tuberkulose entwickeln. „Die von der Bill & Melinda Gates Foundation bereitgestellten Mittel werden es uns ermöglichen, einige unserer vielversprechendsten Entwicklungsprojekte signifikant voranzutreiben und wichtige Schritte in Richtung einer möglichen Anwendung zu gehen. Die Aufnahme als Mitglied in den Tuberculosis Drug Accelerator bietet uns zudem direkten Zugang zu führenden Experten und Technologien, die auf diesem Weg von unschätzbarem Wert sein werden“, sagt Rolf Müller, Geschäftsführender Direktor des HIPS und Leiter der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe. „Auch für die am DZIF angesiedelten Forschungsprojekte des HIPS werden durch die aktuellen Entwicklungen wertvolle zusätzliche Synergien entstehen.“ Evotec ist seit 2018 Mitglied im Tuberculosis Drug Accelerator.
Das auf drei Jahre angesetzte Forschungsprojekt zwischen HIPS und Evotec sollte bereits im Januar 2024 starten, die Fördersumme liegt bei rund 3,1 Millionen Euro.