Wenn wir altern, altert auch unser Immunsystem. Wir werden anfälliger für Infektionen, Impfungen schlagen nicht mehr so gut an und das Risiko, immunbedingte Störungen wie Autoimmunerkrankungen zu entwickeln, steigt. „Um besser zu verstehen, wie und wo genau sich das Immunsystem mit dem Alter ändert, welche Faktoren Alterungsprozesse auslösen oder beschleunigen, müssen wir den Blick auf die Player unseres Immunsystems richten – die Immunzellen“, sagt Prof. Yang Li, Leiterin der Abteilung „Bioinformatik der Individualisierten Medizin“ und Direktorin des CiiM.
Die Forschungsfrage, der das Team um Yang Li nachging, lautete: Wie sieht der Alterungsprozess innerhalb unterschiedlicher Immunzelltypen aus? Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler:innen tausende Transkriptom-Datensätze für fünf unterschiedliche Immunzelltypen aus frei zugänglichen Daten- und Literaturquellen. Das sogenannte Transkriptom bildet die Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiven Gene innerhalb einer Zelle ab. Insgesamt standen den Forschenden Datensätze von über zwei Millionen Immunzellen aus Blutproben von rund 1000 gesunden Personen im Alter zwischen 18 und 97 Jahren zur Verfügung. Daraus erstellten sie mithilfe von maschinellem Lernen ein Computermodell. Dieses Modell bezeichnen sie als „Single-Cell Immune Aging Clock“.
„Wir konnten für jeden Immunzelltyp bestimmte Gene ausfindig machen, die in wichtige immunologische Prozesse involviert sind und deren Aktivität sich während des Alterungsprozesses verändert. Diese nehmen für den jeweiligen Immunzelltyp die Rolle als Marker-Gene ein und dienen in der späteren Anwendung des Modells als Referenz“, erklärt Yang Li. „Die Gene, die wir identifizierten, spielen übrigens für die Entwicklung von Entzündungsprozessen eine entscheidende Rolle. Dass Alterungsprozesse insbesondere mit Entzündungsprozessen einhergehen, ist bekannt. Das konnten wir mit unserer Studie auch noch einmal bestätigen.“
Das Forschungsteam wandte die Aging Clock dann in zwei Fallbeispielen unter Nutzung von Patient:innen-Daten an. Sie wollten herausfinden, wie sich eine SARS-CoV-2-Infektion bzw. eine Tuberkulose-Impfung auf die Alterungsprozesse innerhalb der verschiedenen Immunzelltypen auswirkt. Bei COVID-19-Patient:innen zeigten sich Alterungsprozesse nur in einem einzigen Typ von Immunzellen, den sogenannten Monozyten. Bei Personen mit mildem Krankheitsverlauf war die Alterung aber deutlich weniger stark ausgeprägt. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass schwere Infektionen unsere Immunzellen schneller altern lassen können“, sagt Yang Li. “Aber – und das sind gute Nachrichten – scheinen diese Veränderungen reversibel zu sein: Nach etwa drei Wochen, wenn die COVID-19-Patient:innen langsam genesen, beginnen die Monozyten, zu ihrem ursprünglichen Altersprofil zurückzukehren.“
Im zweiten Fallbeispiel beleuchteten die Forschenden mithilfe der Aging Clock das Alter verschiedener Immunzelltypen von Personen nach einer Tuberkulose-Impfung. Hier stieß das Team auf einen interessanten Zusammenhang: Die Impfung wirkte sich innerhalb eines Immunzelltyps, den sogenannten CD8-T-Zellen, ganz unterschiedlich aus – je nachdem, wie viele Entzündungsprozesse gerade im Körper abliefen. Doch bei Personen mit hohen Entzündungswerten wirkte sich die Impfung verjüngend auf die Immunzellen aus.
„Die Single-Cell Immune Aging Clock eröffnet erstmals und dabei zugleich unglaublich spannende Einblicke in zelluläre Alterungsprozesse innerhalb verschiedener Immunzelltypen“, sagt Yang Li. „Sie ist ein mächtiges Werkzeug, mit dem künftig weitere Dynamiken der Immunalterung aufgedeckt, Einflüsse von Infektionen und Impfungen besser verstanden und neue Ansatzpunkte für Therapien und Präventionsmaßnahmen entwickelt werden könnten, die ein gesundes Altern fördern.“
Die „Single-Cell Immune Aging Clock“ stellt das Forschungsteam frei zur Verfügung, sodass sie für weiterführende Forschungsprojekte genutzt werden kann .
Text: Nicole Silbermann