Naturstoffe sind wichtige Hilfsmittel beim Kampf gegen Infektionskrankheiten und Krebs. Um sie gezielt einsetzen zu können, müssen wir ihre Wirkmechanismen und ihren Aufbau genau kennen, um am Ende aus ihnen das optimale Medikament zu entwickeln. Wolf-Dieter Schubert und seinen Mitarbeitern der Arbeitsgruppe „Molekulare Wirt-Pathogen Interaktionen“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig ist dies jetzt für einen seit 15 Jahren bekannten Naturstoff, das Rhizopodin, erstmals gelungen. In der Zeitschrift „Angewandte Chemie“ zeigen die Forscher, wie der Naturstoff ein Protein des Zellskeletts zu Komplexen zusammenlagert und es damit an seiner Funktion hindert. Diese Eigenschaft könnte den Stoff unter anderem für die Krebsforschung sehr interessant machen. Gleichzeitig zeigen die Forscher genau wie das Molekül räumlich aufgebaut ist, so dass es in Zukunft vielleicht im Labor herstellbar ist.
Das Zellskelett ist ein Netz aus vielen Proteinen. Es hilft unter anderem bei der Zellteilung, das Erbgut auf beide Tochterzellen zu verteilen. Weil sich Krebszellen besonders schnell teilen, zielen viele Medikamente darauf, die Dynamik des Zellskeletts zu blockieren und so die krankhafte Vermehrung der Krebszellen zu stoppen. Bakterien nutzen die gleiche Strategie: Um die Abwehrmechanismen des von ihnen befallenen Organismus außer Kraft zu setzen, produzieren sie Naturstoffe. Diese verhindern den Aufbau des Zellskeletts in Abwehrzellen oder zerstören das bereits aufgebaute Skelett. Deshalb sind solche Naturstoffe wichtige Ausgangspunkte für neue Medikamente.
Der Naturstoff Rhizopodin wurde 1993 von Forschern am HZI aus dem Bakterienstamm Myxococcus stipitatus isoliert. Schon damals zeigten Experimente am HZI eine starke Wirkung gegen das Zellskelett. Man erkannte, dass das Rhizopodin Bausteine des Zellskeletts, sogenannte Aktin-Moleküle, bindet und den Zellskelettaufbau verhindert. Wie das im Detail funktioniert, blieb jedoch unklar. Um dies zu untersuchen, mischten die Forscher um Wolf-Dieter Schubert jetzt im Labor Aktin-Moleküle mit Rhizopodin. Dabei beobachteten sie, dass beide Substanzen wie erwartet einen festen Komplex bilden. Dieser Komplex war jedoch deutlich größer als vorher berechnet. Die molekulare Struktur des Komplexes löste das Rätsel: Ein Rhizopodin-Molekül setzt gleich zwei Aktin-Bausteine außer Gefecht, indem es sie an sich fesselt und damit unwirksam macht. „Wenn wir uns jetzt die Struktur des Rhizopodins anschauen und erkennen, wie es Aktin bindet, passt alles perfekt zusammen.“, sagt Wolf-Dieter Schubert. „Der Komplex aus Rhizopodin und zwei Aktin-Molekülen verhindert besonders wirkungsvoll den Zusammenbau des Zellskeletts.“
Noch ist es zu früh zu bewerten, ob das Rhizopodin den Weg in die Anwendung als Medikament finden wird. Die genaue Erklärung des Wirkmechanismus und insbesondere auch die detaillierte, räumliche Beschreibung sind jedoch wichtige Schritte zum besseren Verständnis und zur eventuellen Nutzung dieser wichtigen Klasse der Naturstoffe.
Orginalartikel: Gregor Hagelueken, Simone C. Albrecht, Heinrich Steinmetz, Rolf Jansen, Dirk W. Heinz, Markus Kalesse, Wolf-Dieter Schubert: Absolute Konfiguration von Rhizopodin und Inhibierung der Aktinpolymerisation durch Dimerisierung. Angew. Chem. 2009, 121, 603 –606 (Angew. Chem. Int. Ed. 2009, 48, 595-598).
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