Portrait Natalia Torow
Dr. Natalia Torow, Leiterin der Nachwuchsgruppe "Frühkindliche Immunität" am HZI
Interview

„Aus Fehlern lernen, dranbleiben und daran wachsen – das gilt für Forschung und Care-Arbeit“

Dr. Natalia Torow erforscht das Immunsystem von Neugeborenen. Sie möchte herausfinden, wie genau es auf Krankheitserreger und Impfungen reagiert, um frühkindlichen Infektionen bestmöglich vorbeugen zu können. Seit 2024 leitet sie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig die Forschungsgruppe „Frühkindliche Immunität“ und bringt damit ein ganz neues Forschungsthema ans HZI. Im Interview spricht sie über den stillen Modus des Immunsystems bei Neugeborenen, ihr Ziel, Schluckimpfungen optimal anzupassen, und wie sich der Forscherinnenalltag mit dem Familienleben unter einen Hut bringen lässt.

Frau Torow, hätten Sie gedacht, dass Sie einmal Forscherin werden?

(lacht) Vielleicht nicht unbedingt und so konkret, aber mein Interesse für Naturwissenschaften reifte tatsächlich schon in meiner Schulzeit heran. Während eines Auslandsjahrs in New York in den USA ging ich auf eine öffentliche Highschool. Dort hatte ich die Möglichkeit, Kurse in Chemie und Mathematik auf Uni-Niveau zu belegen. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht! Nach dem Abitur entschied ich mich für ein Biochemie-Studium an der Universität Hannover. Und nach Studienaufenthalten in Boston und Stockholm, in denen ich mich mit mikrobiologischen und infektionsbiologischen Themen befasste, war mein Forschergeist endgültig geweckt. Dann war klar: Nach dem Studium will ich in die Forschung gehen, unbedingt!

Heute erforschen Sie das frühkindliche Immunsystem. Wie verlief Ihr Weg dorthin?

Schon während meines Studiums interessierte ich mich vor allem für zellbiologische Zusammenhänge und dabei insbesondere für Immunzellen. Die Komplexität unseres Immunsystems fand ich schon damals unglaublich spannend! An der Medizinischen Hochschule Hannover habe ich zur Entwicklung des adaptiven Immunsystems im Neugeborenen-Darm promoviert. In meiner Doktorarbeit konnte ich zeigen, dass die Erkennung von Darmbakterien durch bestimmte Immunzellen, sogenannte T-Zellen, noch sehr lange nach der Geburt aktiv unterdrückt wird. Das war quasi der erste Schritt hin zu meinem heutigen Forschungsgebiet. Nach der Promotion ging ich an die RWTH Aachen, wo ich ab 2021 eine Nachwuchsgruppe übernahm. Hier ging ich der Frage nach, welche Faktoren dafür sorgen, dass das adaptive Immunsystem von Neugeborenen dann nach mehreren Wochen anfängt, die Darmbakterien aktiv zu erkennen. Wir konnten zeigen, dass sich zu diesem Zeitpunkt im Darm eine bestimmte Art von Epithelzellen bildet, die dem Immunsystem quasi beim Trainieren helfen, indem sie den Immunzellen wohldosiert Darmbakterien zukommen lassen.

Warum ist es wichtig, das Immunsystem des Darms bei Neugeborenen besser zu verstehen?

Unser Darm ist eine der Haupteintrittspforten für Krankheitserreger und besitzt eines der komplexesten Immunsysteme unseres Körpers. Denn die Immunantwort muss unterscheiden können zwischen guten, nützlichen Bakterien in unserem Darm und krankmachenden Eindringlingen. Vor der Geburt ist der Darm noch steril. Aber schon wenige Tage nach der Geburt ist der Darm von Neugeborenen ebenso dicht mit Bakterien besiedelt wie der von Erwachsenen. In diesen ersten Tagen nach der Geburt unterliegt auch das Immunsystem des Darms einer großen Umstellung. Anfangs ist es noch nicht so schlagkräftig.

Schluckimpfung für einen kleinen Kindes
Schluckimpfung eines Säuglings

Ist das gut oder schlecht?

Früher dachte man, dass das Immunsystem von Neugeborenen einfach noch unterentwickelt sei. Doch verschiedene Studien deuten darauf hin, dass dieser eher stille Modus des Immunsystems für das Neugeborene durchaus sinnvoll, vielleicht sogar entscheidend ist. Denn starke Immunantworten können auch Gewebeschäden zur Folge haben, die für die weitere Entwicklung nachteilig sein können. Es ist wichtig, dass wir die Besonderheiten des Neugeborenen-Immunsystems besser verstehen lernen. Nur so können wir zum Beispiel neue Ansätze für wirksamere und auf Neugeborene zugeschnittene Impfstoffe entwickeln.

Im Sommer vergangenen Jahres kamen Sie ans HZI und leiten die MICROSTAR-Nachwuchsgruppe „Frühkindliche Immunität“. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Forschung?

Gemeinsam mit meinem vierköpfigen Team möchte ich eben genau diese Einzigartigkeit des Neugeborenen-Darm-Immunsystems erforschen und darauf aufbauend verbesserte Ansätze für Schluckimpfungen für Neugeborene entwickeln. Mit unseren Untersuchungen wollen wir zum Beispiel herausfinden, wie verschiedene bekannte und auch neuartige Adjuvanzien, das sind Wirkverstärker in Impfstoffen, auf die Aktivität verschiedener Immunzellen des Darms wirken. Für unsere Forschung nutzen wir dabei eine Kombination aus Mausmodellen, genetischen Systemen und neuartigen Technologien wie der sogenannten Next Generation Einzelzelltechnologie. Damit können wir quasi live beobachten, wie einzelne Immunzellen innerhalb des Darms auf Stimuli, wie zum Beispiel durch ein im Impfstoff enthaltenes Adjuvans, reagieren. Insbesondere in ressourcenarmen Ländern sind Erkrankungsraten und Sterblichkeit bei Kindern durch Infektionskrankheiten auch heute noch hoch. Eine auf das Immunsystem von Neugeborenen zugeschnittene Schluckimpfung könnte hier ein echter Gamechanger sein.

Sie haben Familie, zwei Kinder im Alter von fünf und neun Jahren. Wie gelingt Ihnen die Vereinbarung von Forschung und Care-Arbeit?

(lacht) Ich weiß nicht, ob mir das gelingt – die Kombination aus Forschung und Familie ist definitiv eine Herausforderung! Was „Rushhour des Lebens“ bedeutet, das spüre ich gerade ziemlich genau – und zwar jeden Tag. Als Forscherin stehen lange Arbeitszeiten auf der Tagesordnung und man muss zeitlich flexibel sein, denn Laborexperimente dauern eben nun mal solange wie sie dauern. Und man muss mobil sein, um zum Beispiel an internationalen Tagungen teilzunehmen. Aber natürlich versuche ich, zu priorisieren und verschiedene Aufgaben und Termine an mein Team zu delegieren, damit ich mich auf die wesentlichen Dinge meiner Arbeit konzentrieren kann. Die Care-Arbeit zu Hause teile ich mir mit meinem Mann. Dass ich mich darauf verlassen kann, ist zentral!

Was empfinden Sie als besonders herausfordernd?

Die Ressource Zeit ist extrem begrenzt. Alles muss gut geplant werden, sowohl der Alltag als auch Zeiten, in denen ich auf Konferenzen unterwegs bin. Ja, und dann kommen natürlich noch die nichtplanbaren Dinge dazwischen wie Krankheit oder Kitaschließung. Da muss dann schnell eine Lösung her. Das ist nicht immer leicht und kostet Kraft und Nerven. Hier hilft es aber, dass wir familiär gut vernetzt sind. Wir haben das große Glück, dass die Großeltern jetzt wieder in der Nähe wohnen und in solchen Fällen auch mal einspringen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie sorgen Sie in Ihrer Freizeit für Ausgleich?

Gute Frage! (lacht) Die Wochenenden gehören der Familie. Das versuche ich einzuhalten. Denn nur so kann ich nachhaltig in meinem Beruf arbeiten. Die Wochenenden genieße ich sehr, wir machen Ausflüge, spielen etwas oder schauen Filme – das ist mein Ausgleich! Viel mehr ist gerade nicht drin. Ich spüre schon, dass nur sehr wenig Zeit für mich selbst bleibt. Auf der anderen Seite habe ich einen total schönen und erfüllenden Beruf, bei dem ich mich selbst verwirklichen kann. Ich kann kreativ sein und neue Experimente und Forschungsansätze entwickeln, mit modernsten Methoden meine Ideen umsetzen und selbstbestimmt arbeiten – das ist doch auch nicht zu verachten. Nein, es ist großartig!

Denken Sie, dass für angehende Forscherinnen Role-Models wichtig sind?

Ich finde, Role-Models sind superwichtig! Junge Frauen, die überlegen, ob sie in die Forschung gehen möchten, müssen sehen können, dass es möglich ist, Forschung und Familie zu vereinbaren, dass die Kombination gelebt wird. Dafür müssen Frauen – und natürlich auch Männer – sichtbar sein, die gute Forschung machen, Führungspositionen innehaben und gleichzeitig und selbstverständlich Care-Arbeit übernehmen. Zu sehen, dass es funktioniert, dass beides zusammengehen kann, motiviert und baut Barrieren ab. Bevor ich Kinder hatte, hätte ich mir tatsächlich mehr Role-Models gewünscht …

Sie haben das Duo aus Forschung und Familie aber trotzdem gewagt und ganz offensichtlich nicht bereut. Welche Tipps haben Sie für den wissenschaftlichen Nachwuchs?

Das Allerwichtigste ist: Man muss für sein Forschungsthema brennen! Dann – eigentlich genauso wichtig – muss noch die Umgebung stimmen. Weil Forschung einfach mehr Spaß macht, wenn man in einem Arbeitsumfeld arbeitet, das einen fördert und fordert. Frauen sollten darauf achten, dass sie sich eine Forschungsumgebung suchen, in der Frauen gefördert werden und Chancengleichheit ernstgenommen wird. Und: Als Forscherin oder Forscher muss man eine gute Portion Frustrationstoleranz mitbringen oder sich im Laufe der Zeit aneignen. In der Wissenschaft geht viel schief, die meisten Versuche scheitern, Forschungsansätze erweisen sich als Sackgasse. Die Devise heißt also: aus Fehlern lernen, dranbleiben und daran wachsen – das gilt im Übrigen auch für Care-Arbeit.

Interview: Nicole Silbermann

Portrait Andreas Fischer

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Dr. Andreas Fischer
Wissenschaftsredakteur