Ein Bakterium kommt selten allein; und wenn sich erst hinreichend viele Bakterien auf einem Fleck gesammelt haben, schließen sie sich zu Lebensgemeinschaften zusammen. Diese so genannten Biofilme entstehen überall dort, wo Bakterien sich anheften können. Tückisch ist, dass weder Desinfektionsmittel und Antibiotika noch Fresszellen oder unser Immunsystem diese Biofilme vernichten können. Besonders in Krankenhäusern ist dies problematisch, wenn die bakteriellen Lebensgemeinschaften sich auf Kathetern oder Implantaten bilden und dort schwere Infektionen verursachen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben jetzt einen der grundlegenden Mechanismen entdeckt, mit dem Bakterien sich in Biofilmen vor angreifenden Fresszellen schützen. Dass sie sich mit chemischen Waffen zur Wehr setzen, veröffentlichen die Wissenschaftler heute gemeinsam mit Kollegen aus Australien, Großbritannien und den USA in der renommierten Fachzeitschrift PLoS ONE.
Den Kern der Problematik – nämlich die Unfähigkeit von Fresszellen, Biofilme zu beseitigen – hatten Wissenschaftler bisher nicht verstanden. HZI-Forscher Dr. Carsten Matz sucht nach der Erklärung. Als Modell für seine Untersuchungen hat der Wissenschaftler Meeresbakterien gewählt. Sie sind in ihrem Lebensraum ständig von anderen Einzellern, von Amöben, bedroht. Diese verhalten sich im Meer ähnlich wie bestimmte Immunzellen in unserem Körper: Sie suchen Bakterien und fressen sie. Solange die Bakterien frei im Wasser schwimmen, sind sie leichte Beute für die Fressfeinde. Werden sie jedoch sesshaft und bilden eine Lebensgemeinschaft mit anderen Bakterien, können die Amöben nichts mehr gegen sie ausrichten. „Das Erstaunliche ist, dass die Einzeller, die die Biofilme attackieren, inaktiviert oder sogar getötet werden. Offenbar bauen Bakterien nicht nur eine Wagenburg, die schießen auch zurück“, sagt Carsten Matz.
Dazu setzen die Bakterien chemische Kampfstoffe ein. Ein bei den Meeresbakterien verbreitetes und hochwirksames Molekül ist das Pigment Violacein. Ist die Wagenburg fertig, schimmert der Biofilm zart violett. Fressen die Angreifer dann nur eine einzige Zelle des Biofilms – und damit auch das Pigment in dieser Zelle – lähmt das den Angreifer augenblicklich und das Violacein startet in den Amöben ein Selbstmordprogramm.
„In dem Ergebnis sehe ich die Chance für einen Perspektivwechsel“, sagt Carsten Matz. „Biofilme sind damit nicht länger nur ein Problem, sondern möglicherweise auch eine Quelle für neue Wirkstoffe. Sie produzieren in der Gemeinschaft hochwirksame Substanzen, die in einzelnen Bakterien nicht vorkommen.“ Und die Wissenschaftler sehen in diesen Substanzen das Potential, eine besondere Sorte Krankheitserreger zu bekämpfen: Einzellige Parasiten, die Infektionen wie die Schlafkrankheit oder Malaria verursachen. Diese Erreger sind den Amöben sehr ähnlich – und mit den Biofilm-Waffen möglicherweise behandelbar.
Originalpublikation: Carsten Matz, Jeremy S. Webb, Peter J. Schupp, Shui Phang, Anahit Penesyan, Suhelen Egan, Peter D. Steinberg, Staffan Kjelleberg: Marine biofilm bacteria evade eukaryotic predation by targeted chemical defense. PLoS ONE published July 23, 2008, doi/pone.0002744
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