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Biologische Vielfalt weltweiter Lebensräume als Schatztruhe genutzt

Offene Wissenschaft: HZI-Wirkstoffforscher kooperieren über Ländergrenzen hinweg bei der Suche nach neuen Antibiotika

In den vergangenen Jahren haben immer mehr Krankheitserreger Resistenzen gegenüber bewährten Antibiotika entwickelt. Dieser Umstand stellt Wissenschaftler auf der ganzen Welt vor die Aufgabe, neue anti-infektive Substanzen zu finden und für den medizinischen Gebrauch nutzbar zu machen. Ein bedeutendes Potenzial für die Entdeckung neuer Antibiotika birgt die gezielte Untersuchung bislang unbekannter Bakterien und Pilze aus noch nicht untersuchten Habitaten, denn diese Mikroorganismen produzieren eine Fülle chemischer Substanzen mit antibiotischer Aktivität. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) haben eine Vielzahl neuer Bakterienstämme isoliert und erste von ihnen produzierte Wirkstoffkandidaten zur Bekämpfung resistenter Keime in die frühe präklinische Entwicklung gebracht.

Für eine erfolgreiche Wirkstoffsuche spielen gerade international ausgerichtete Projekte eine besondere Rolle, da sie die große biologische Vielfalt ungewöhnlicher Lebensräume zugänglich machen. „Wir können uns vor interessanten Bakterien- und Pilzstämmen gar nicht mehr retten“, sagt Prof. Marc Stadler, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) die Abteilung „Mikrobielle Wirkstoffe“ leitet. Die bereits sehr umfangreiche Naturstoffsammlung des HZI basiert auf der weltweit größten Sammlung von Myxobakterien. Diese im Boden lebenden Bakterien produzieren chemische Substanzen, mit denen sie sich gegen andere Mikroorganismen verteidigen. Die Entdeckung mehrerer neuer Gattungen und Familien und die Erweiterung der Sammlung sind unter anderem auf die Arbeiten am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) unter der Leitung von Prof. Rolf Müller zurückzuführen. Darüber hinaus bauen die Forscher des HZI die mikrobielle Stammsammlung seit 2012 gezielt über internationale Kooperationen aus. Die Schwerpunkte liegen neben den Myxobakterien auf der Isolierung und Untersuchung neuer Arten von seltenen Aktinobakterien und Pilzen.

Eines der aktuellen Kooperationsprojekte ist GINAICO, in dem Wissenschaftler aus Indonesien und Deutschland antibiotisch wirkende Naturstoffe aus dem mannigfaltigen biologischen Potenzial Indonesiens gewinnen wollen. GINAICO steht für „German Indonesian Anti-Infectives Cooperation“ und wird seit 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziell unterstützt. Die noch junge Zusammenarbeit mit den indonesischen Kollegen trägt bereits erste Früchte: „Wir konnten schon einige neue Arten von Mikroorganismen identifizieren und haben erste potente Wirkstoffproduzenten in Bearbeitung“, sagt der Projektleiter Dr. Joachim Wink, Leiter der HZI-Forschungsgruppe „Mikrobielle Stammsammlung“.

Seit Einführung internationaler Richtlinien wie der „Convention on Biological Diversity“ (CBD) und dem kürzlich von der Europäischen Union ratifizierten Nagoya-Protokoll steht die gerechte und beiderseitige Nutzung biologischer Ressourcen im Rahmen internationaler Partnerschaften, vor allem mit Schwellenländern, stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Der Austausch von Knowhow und Ressourcen der Biodiversität und die gemeinsame Ausbildung von jungen Wissenschaftlern sollen die Wirkstoffforscher weltweit noch enger vernetzen. „Im Zuge von GINAICO haben wir dazu Seminare, Konferenzen und auch einen Laborworkshop in Indonesien veranstaltet“, sagt Wink. „In Ländern wie Indonesien, Thailand oder dem Iran sind die Labore teilweise mit sehr guten Geräten ausgestattet. Es fehlt jedoch häufig Personal, das sie bedienen kann. An der Stelle helfen wir mit Schulungen und Personalaustausch weiter.“ Dazu kommen auch internationale Nachwuchswissenschaftler ans HZI, deren Aufenthalte aus den Projektmitteln finanziert werden. In den HZI-Laboren lernen die Gastforscher unter anderem die Isolierung und Kultivierung von Bakterien aus Bodenproben und Magen-Darm-Trakten von Tieren, die taxonomische Charakterisierung dieser Mikroorganismen sowie deren Fermentation zur Produktion von Antibiotika und anderen Sekundärstoffen.

In anderen internationalen Projekten stehen die Pilze im Vordergrund. Dazu gehört zum Beispiel das Projekt „Golden Mycological Triangle“, das im Rahmen des EU-Forschungsprogramms „Research and Innovation Staff Exchange“ (H2020-RISE) gefördert wird. Neben dem HZI sind auch das renommierte thailändische Forschungszentrum BIOTEC und das niederländische Westerdijk Fungal Biodiversity Centre Teil der Zusammenarbeit. Die Forschungseinrichtungen suchen nach neuen Antibiotika-Kandidaten in mit Insekten assoziierten und endophytischen Pilzen. Mehreren Nachwuchswissenschaftlern des HZI ermöglichte dieses Projekt mehrmonatige Forschungsaufenthalte in Thailand, die die HZI-Forscher zur Erweiterung ihrer Methodenkenntnis nutzten. Im Rahmen des naturwissenschaftlichen und technologischen Kooperationsprojektes der EU mit dem afrikanischen Kontinent, kurz ERAFRICA, erforschen die HZI-Wissenschaftler gemeinsam mit Kollegen aus Kenia und Südafrika zudem Pilze von afrikanischen Pflanzen (ERAFRICA-Programm <link www.helmholtz-hzi.de/de/forschung/forschungsprojekte/ansicht/projekt/detail/asafem/ _blank link-extern>ASAFEM: „Antibiotics and anti-quorum sensing compounds from African fungal endophytes inhabiting medicinal plants and cultures of macromycetes“</link>).

Die ersten neuen Wirkstoffe aus den genannten Projekten werden am HZI bereits in größerem Maßstab in Bioreaktoren fermentiert. Die dafür eingesetzten Geräte konnten die Forscher 2016 aus Fördermitteln anschaffen, die sie über das BMBF-Projekt „AntiMalariaDrug“ eingeworben haben. An der Fermentation sind auch einige Gastforscher aus den jeweiligen Herkunftsländern beteiligt. Gleichzeitig haben die Wissenschaftler im Rahmen der Projekte wertvolle Informationen über die Biodiversität der Herkunftsländer gesammelt, die sie gemeinsam mit den Kooperationspartnern in führenden Fachzeitschriften publizieren werden.

„Mit den Kenntnissen, die wir den Gastforschern am HZI beibringen, verbessert sich auch deren Jobaussicht in ihrem Heimatland“, sagt Marc Stadler. Die internationale Zusammenarbeit verhelfe aber auch der Arbeit der HZI-Forscher zu einem Sprung nach vorn, denn sie können viele innovative Quellen für neue Anti-Infektiva bearbeiten. „Wir sind weltweit unter den führenden Einrichtungen im Finden und Charakterisieren von Naturstoffen“, sagt Stadler. So wollen er und Joachim Wink die Internationalität ihrer Forschung auch weiterhin ausbauen und die bestehenden Kooperationen mittel- und langfristig sichern. In Zeiten der Globalisierung könne auch die Naturstoffforschung nur im Rahmen umfangreicher internationaler Projekte erfolgreich sein.

Lesen Sie mehr über das Projekt GINAICO in der aktuellen Ausgabe des HZI-Mitarbeitermagazins „InFact“: <link de/aktuelles/thema/forschung_kennt_keine_grenzen/>https://www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/thema/forschung_kennt_keine_grenzen/</link>

Weitere Informationen:

<link www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/internationales-eu/nagoya-protokoll/ _blank link-extern>Nagoya-Protokoll</link>
<link www.erafrica.eu _blank link-extern>ERAFRICA-Programm ASAFEM</link>
<link cordis.europa.eu/project/rcn/194366_de.html _blank link-extern>RISE-Projekt „Golden Mycological Triangle“</link>
<link cordis.europa.eu/project/rcn/194366_de.html _blank link-extern>RISE-Projekt</link>
<link www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/news/ansicht/article/complete/natuerliche_wirkstoffe_im_einsatz_gegen_malaria_und_andere_armutsbedingte_krankheiten/ _blank link-extern>HZI-Pressemitteilung über das BMBF-Projekt „AntiMalariaDrug“</link>
 

Originalpublikationen:

C. Chepkirui, C. Richter, J. C. Matasyoh, M. Stadler: Monochlorinated calocerins A-D and 9-oxostrobilurin derivatives from the basidiomycete Favolaschia calocera. Phytochemistry, 2016, <link dx.doi.org/10.1016/j.phytochem.2016.10.001 _blank link-extern>DOI: 10.1016/j.phytochem.2016.10.001</link>.

C. M. Mudalungu, C. Richter, K. Wittstein, M. A. Abdalla, J. C. Matasyoh, M. Stadler, and R. D. Süssmuth: Laxitextines A and B, cyathane xylosides from the tropical fungus Laxitextum incrustatum. Journal of Natural Products, 2016, <link dx.doi.org/10.1021/acs.jnatprod.5b00950 _blank link-extern>DOI: 10.1021/acs.jnatprod.5b00950</link>.

C. Chepkirui, J. C. Matasyoh, C. Decock, M. Stadler: Two cytotoxic triterpenes from cultures of a Kenyan Laetiporus sp. (Basidiomycota). Phytochemistry Letters, 2017, in press, DOI: 10.1016/j.phytol.2017.04.009