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Blut und Knochen maßgeschneidert aus dem Beutel

Braunschweiger Forscher entwickeln neue Kultivierungstechniken für Zellen

Ärzte setzen bei vielen Therapieverfahren lebende Zellen ein: Bei der Bluttransfusion ebenso wie bei Knochenmarktransplantationen, bei Stammzelltherapien oder nach schweren Verbrennungen. Tendenz zunehmend. Problematisch ist jedoch die Haltbarkeit der verwendeten Zelllösungen. Da sie extrem empfindlich sind, können sie meist nur wenige Tage gelagert werden.

 

Ein neues Forschungsprojekt aus Braunschweig wird für Abhilfe sorgen: Zehn Projektpartner aus Industrie und Forschung wollen Kunststoffbeutel im Innern beschichten und damit chemisch so verändern, dass sie Zellen gute Überlebensbedingungen bieten. Die Zellen sollen sich sogar darin vermehren können. Die Wissenschaftler möchten so auch Knochen oder Knorpel außerhalb des Körpers nachwachsen lassen. Koordiniert wird das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie finanzierte Vorhaben vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI).

 

Jahrzehntelang mussten Forscher und Mediziner offene Petrischalen oder Bioreaktoren nutzen, um Zellen zu kultivieren. Da es sich um Systeme handelt, die zumindest zur Befüllung geöffnet werden müssen, kommt es häufig zu Verunreinigungen. Um Gesundheitsgefahren für Patienten auszuschließen, dürfen diese Zellen dann nicht mehr in der Medizin genutzt werden. HZI-Wissenschaftler haben ein geschlossenes Beutelsystem entwickelt, das Kontaminationen ausschließt: Zellen, die gelagert oder vermehrt werden sollen, wandern aus dem Blutkreislauf über eine Injektionsnadel direkt in den Beutel, ohne mit der Umgebung in Berührung zu kommen.

 

„Dieses System wollen wir jetzt zusammen mit unseren Partnern verbessern“, erläutert Projektkoordinator Dr. Kurt Dittmar vom HZI. Zunächst werden am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) die Kunststoffbeutel auf den Innenflächen mittels Plasmatechnik chemisch modifiziert. „Der Vorteil des Verfahrens ist, dass es bei Atmosphärendruck arbeitet und damit kostengünstig, schnell und flexibel ist.“, beschreibt Dr. Michael Thomas, Gruppenleiter Atmosphärendruckplasmaverfahren am IST, das Verfahren. „Die Anlagentechnik ist sehr einfach und kann in bestehende Prozessketten bei der Beutelherstellung integriert werden. Das reduziert die Investitionskosten und erleichtert die spätere industrielle Umsetzung.“ Die so chemisch modifizierten Oberflächen sind besonders aufnahmefähig für biologisch wirksame Moleküle, die die Lebensdauer der Zellen verlängern. „Die Tests an lebenden Zellen werden wir gemeinsam mit dem Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes in Springe und zwei Braunschweiger Biotechnologie-Unternehmen machen“, so Dittmar.

 

Um die Erfolge messen zu können, ohne die Beutel zu öffnen und den Inhalt zu verderben, benötigt das Konsortium berührungsfreie Messmethoden. Über das erforderliche Know-how verfügt die TU Braunschweig. Dort haben Elektrotechniker um Prof. Meinhard Schilling ein Verfahren entwickelt, mit dem sich der Zustand der Zellen und der Oberflächen während des Kultivierungsverfahrens von außen überprüfen lassen. Es wird im Rahmen des Projekts weiter entwickelt.

 

„Unser Ziel ist es aber nicht nur, Zellkulturen haltbarer zu machen“, beschreibt Dittmar seine Vision: „In der Chirurgie besteht großer Bedarf an körpereigenen Geweben wie Haut, Nervenzellen, Knochen oder Knorpel, um nach Unfällen schwere Knochenbrüche zu heilen, zerstörte Gesichtspartien wieder herzustellen oder bei Schüttellähmung defekte durch funktionstüchtige Nervenzellen zu ersetzen.“ Dafür wollen die Partner gleich zwei Hürden überwinden: „Das Städtische Klinikum Braunschweig wird aus Gewebeproben bestimmte Stammzellen isolieren und untersuchen, auf welchen der neuen Kunststoff-Oberflächen sich beispielsweise zu Knochen oder Knorpel entwickeln“, so Dittmar: „Um dann herauszufinden, wie man die Zellen auf einer künstlichen, dreidimensionalen Struktur züchtet und so einen Knochen- oder Knorpelersatz herstellt, haben wir den einzigen wissenschaftlichen Partner ins Boot geholt, der nicht aus Niedersachsen kommt: Die Universität Tübingen.“