Generiertes Bild zum Mikrobiom
Das Mikrobiom ist eine große Mikroben-WG in unserem Körper
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Die anderthalb Kilogramm schwere WG in unserem Darm

Mit einer Pille unser Mikrobiom stärken, damit es Krankheiten wirkungsvoll bekämpfen kann? Forschende des HZI arbeiten daran, dass diese Zukunftsvision Wirklichkeit wird

Beginnen wir mit einer Hochzeitsfeier. Die Braut hat gerade eine Rede gehalten, jetzt eröffnet sie das Buffet. Es gibt nur ein Problem: Es sind zu viele Gäste anwesend. Das liegt daran, dass einige unerwünschte sich eingeschlichen haben. Glücklicherweise haben die geladenen Gäste mehr Übung im „aktiven Anstehen“. So gehen viele der unerwünschten Gäste beim Buffet leer aus. Hungrig verlassen sie die Hochzeit. Für die Feier ist das ein Segen. Wer will schon ungeladene Gäste haben?

„Ähnlich ist es in unserem Darm: Je voller und vielfältiger das Mikrobiom dort ist, desto schwerer ist es für manche eher schädliche Mikroorganismen, sich anzusiedeln, weil weniger Nahrung für die unerwünschten Eindringlinge übrigbleibt“, sagt die Wissenschaftlerin Dr. Lisa Osbelt-Block, die am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) im Team von Prof. Till Strowig am Mikrobiom und Mikrobiom-basierten Therapien forscht. Doch dies ist längst nicht der einzige Mechanismus, wie das Mikrobiom uns schützt.

Vielfalt ist auch im Darm gut

Das Mikrobiom ist wie eine riesige WG von Untermietern in unserem Darm: rund anderthalb Kilogramm Mikroorganismen, vor allem Bakterien, aber auch Viren, Pilze und Hefen. In den letzten Jahren ist die Forschung am Mikrobiom regelrecht explodiert, es zeigt sich zunehmend, dass der Einfluss des Mikrobioms auf unsere Gesundheit und unser Leben riesig ist. So zersetzen die Bakterien nicht nur Nahrungsbestandteile, was für unsere Verdauung unabdinglich ist, sie bilden auch wichtige Vitamine und Botenstoffe. Veränderungen im Mikrobiom wurden bei verschiedenen Arten von Darmerkrankungen beobachtet. Ihr Beitrag zur Entstehung der Erkrankungen wird derzeit erforscht. Das Mikrobiom könnte auch bei der Entstehung verschiedener Krebsarten eine Rolle spielen. Zudem gibt es Hinweise, dass es sogar Aspekte unseres Verhaltens, zum Beispiel die Entstehung von Depressionen, beeinflusst. Ursache und Wirkung sind bei all diesen Effekten noch nicht abschließend geklärt, aber es ist klar, dass das Mikrobiom eine wichtige Rolle spielt.

Das bietet großes Potenzial für neue Therapieansätze. Dazu müsste man nur wissen, welche der rund 1000 Bakterienarten, die unseren Darm besiedeln, eher vorteilhaft und welche problematisch sind. „Das ist sehr komplex und individuell unterschiedlich: Manche Stämme der gleichen Art – etwa von Escherichia coli – können vorteilhaft oder auch nachteilig wirken, was alles noch komplizierter macht. Wir stehen erst am Anfang, das zu verstehen. Aber von ein paar Bakterienarten wissen wir immerhin, ob sie eher positiv oder negativ sind“, sagt Osbelt-Block.

Portrait Dr. Lisa Osbelt-Block
Lisa Osbelt-Block erforscht am HZI das Mikrobiom

Wer wohnt eigentlich in unserem Darm?

„Wirklich gute Bakterien sind etwa sogenannte Laktobazillen, wie sie zum Beispiel in Joghurt vorhanden sind.“ Dann gebe es Bakterien, die zwar Teil des natürlichen Mikrobioms seien, aber unter bestimmten Bedingungen und in größerer Zahl schädlich sein könnten. Diese Bakterien werden Pathobionten genannt. Und schließlich gibt es eine große Zahl an Bakterien, die eher als neutral eingestuft werden. Sie werden als Kommensale bezeichnet und können je nach Wechselwirkungen mit anderen Bakterien oder als Antwort auf bestimmte Umweltfaktoren eher schlechte oder gute Eigenschaften haben.

„Die Kommensalen können wie die eingeladenen Hochzeitsgäste wirken: Sie besetzen viele Nischen und verhindern so, dass sich ungünstige Bakterien ansiedeln“, sagt Osbelt-Block. Das Besetzen solcher Nischen ist aber nur ein kleiner Teil der gesundheitserhaltenden Wirkung, die das Mikrobiom auf uns hat. Es kann unter anderem durch Botenstoffe zahlreiche Stoffwechselvorgänge in unserem Körper positiv beeinflussen und das Immunsystem stärken. Umgekehrt gilt aber auch: Ein ungünstig zusammengesetztes Mikrobiom kann den Körper belasten und die Entstehung von Krankheiten fördern.

Antibiotika töten nicht nur böse Keime

Doch was beeinflusst die Zusammensetzung des Mikrobioms ungünstig? Zuallererst unterschiedlichste Medikamente, vor allem Antibiotika, sagt Osbelt-Block. Denn sie greifen unspezifisch viele Arten von Bakterien an – auch die „guten“. „Ich möchte betonen, dass Antibiotika zu den größten Errungenschaften der modernen Medizin gehören und aus der Behandlung heute zu Recht nicht wegzudenken sind. Aber sie schädigen eben auch das Mikrobiom, deshalb sollten sie nicht leichtfertig eingesetzt werden“, sagt sie.

Verschärft wird die Problematik durch zunehmende Antibiotikaresistenzen. So werden im Darm nach Antibiotikagabe häufig Krankheitserreger, die gegen Antibiotika resistent sind, kaum dezimiert – und haben durch das Absterben anderer Bakterien noch mehr Platz, um sich auszubreiten. Um dieses globale Problem der Antibiotikaresistenzen zu adressieren, suchen Forschende am HZI-Standort Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) im Rahmen des Citizen Science-Projekts MICROBELIX, bei dem jede:r Bürger:in mitmachen kann, nach Bakterien im Boden, die interessante Substanzen produzieren. In einer anderen Arbeitsgruppe des HZI wird unter anderem an Wirkstoffen geforscht, die von Pilzen produziert werden.

Das Mikrobiom noch besser verstehen – und dann auch gezielt verändern zu können, das ist die Vision, an der Forschende wie Lisa Osbelt-Block und Till Strowig arbeiten. „Wenn wir bestimmte Befunde und Ungleichgewichte finden und dagegen wirksame Hebel haben, indem wir beispielsweise durch eine bestimmte Ernährungsweise oder die Einnahme bestimmter Substanzen das Mikrobiom positiv beeinflussen können, dann eröffnet das einen völlig neuen Behandlungsansatz“, sagt Till Strowig.

Till Strowig im Labor
Till Strowig leitet die HZI-Abteilung „Mikrobielle Immunregulation“

Dein Mikrobiom, deine persönliche Therapie

Und dieser Ansatz ist idealerweise individuell, ganz im Sinne einer personalisierten Medizin. Die Vision der Forschenden sieht etwa so aus: Ein Patient, der an einer bestimmten Erkrankung leidet, gibt in der Arztpraxis nicht nur eine Blutprobe ab, sondern auch eine Stuhlprobe. Darin wird das Mikrobiom analysiert – was Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie hat. „Wenn im Mikrobiom bestimmte Ungleichgewichte gefunden werden, kann man vielleicht daraus ableiten, dass ein bestimmtes Medikament besser oder schlechter wirkt oder stärkere Nebenwirkungen hat und entsprechend die Therapie anpassen“, sagt Strowig.

Noch einen Schritt weiter gedacht kann ein Problem nicht nur auf Ebene der Erkrankung behandelt werden, sondern auch auf Ebene des Mikrobioms: „Wenn wir zum Beispiel ein Ungleichgewicht gefunden haben, was den Verlauf der Erkrankung ungünstig beeinflusst, dann können wir in Zukunft womöglich dieses Ungleichgewicht gezielt mit einer Kapsel mit bestimmten Bakterienstämmen bekämpfen“, sagt Osbelt-Block.

Obwohl ein solches Vorgehen noch weit weg erscheint, ist es doch nicht unrealistisch. In den USA zum Beispiel wurden jüngst die ersten beiden Mikrobiom-basierten Therapien zugelassen, bei denen Mixturen aus verschiedenen Bakterienarten dem Darm von Patienten gezielt zugeführt werden. Dadurch können schwerwiegende und wiederaufflammende Infektionen mit dem Krankenhauskeim Clostridioides difficile nun effektiv behandelt werden. Eine erste maßgeschneiderte Behandlung für das Darmmikrobiom. Lisa Osbelt-Block ist hoffnungsvoll, dass in Zukunft noch viele folgen werden.

Und was lässt sich heute schon tun, um das Mikrobiom zu stärken? Wenngleich sie betont, dass dies individuell unterschiedlich ist, kann Lisa Osbelt-Block zumindest ein paar allgemeine Empfehlungen geben: Weniger Stress, mehr Bewegung, ballaststoffreiche Ernährung. „Und nicht alles übertrieben desinfizieren in der unmittelbaren Umgebung. Zu viel Hygiene kann die Vielfalt des Mikrobioms beeinträchtigen“, sagt Osbelt-Block.

Text: Christian Heinrich

Dieser Text erschien im HZI-Magazin InFact in der Ausgabe Herbst 2024.

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Dr. Andreas Fischer
Wissenschaftsredakteur