Frau Riese, unter den Corona-Impfstoffen gelten die mRNA-Impfstoffe derzeit als der Goldstandard. Seit Jahresbeginn ist ein Protein-Impfstoff im Einsatz, auf den einige Menschen gewartet haben, die der mRNA-Technologie skeptisch gegenüberstanden. Wie wirkt er, und wie ist er hinsichtlich seiner Wirksamkeit einzuordnen?
Protein-Impfstoffe gehören zu den klassischen Impfstofftypen, wie wir sie zum Beispiel auch von den Grippe-Impfstoffen her kennen. Der neue Protein-Impfstoff Nuvaxovid enthält das Spike-Protein von SARS-CoV-2 und zusätzlich einen Wirkstoffverstärker, um die Immunreaktion besser zu aktivieren. Die Ergebnisse der klinischen Studien waren durchaus vielversprechend: Sie zeigen, dass Geimpfte sehr gut vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt sind. Leider haben sich die anfänglichen Erwartungen nicht erfüllt, die Impfquote durch einen „traditionellen“ Impfstoff deutlich zu erhöhen. Das kann unter anderem daran liegen, dass auch dieser Impfstoff noch nicht an die aktuell kursierende Omikron-Variante angepasst ist. Vor Infektion schützt dieser Impfstoff übrigens ebenso wie die mRNA-Impfstoffe leider nicht. Ob die Immunantwort längerfristig hält, wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen.
Weiß man denn bei den mRNA-Impfstoffen mittlerweile mehr darüber?
Was wir über die Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffen wissen ist, dass sie etwa drei bis sechs Monate einen guten Schutz vor schwerer Erkrankung bieten. Danach sollte aufgefrischt werden. Das liegt daran, dass diese Impfstoffe vor allem die sogenannte humorale Immunantwort ansprechen. Das ist der Teil unseres Immunsystems, der für die schnelle Herstellung passgenauer Antikörper verantwortlich ist. Im Kampf gegen einen Erreger ist das natürlich enorm wichtig, doch um eine langfristige Immunität aufzubauen, reicht das leider nicht aus. Dafür ist die Aktivierung der sogenannten zellulären Immunantwort nötig: Gedächtniszellen, die sich an unliebsame Eindringlinge noch Jahre nach einer Infektion erinnern und bei erneutem Kontakt mit dem Erreger schnell Antikörper herstellen können. Dieses immunologische Gedächtnis wird durch die mRNA-Impfstoffe scheinbar nur schwach aktiviert. Warum das so ist, ist bislang noch nicht verstanden. Was ich aber deutlich machen möchte: Die bislang entwickelten Corona-Impfstoffe sollten in erster Linie vor schwerer Erkrankung schützen. Und das tun sie – das ursprünglich gesetzte Ziel haben sie erreicht.
Läuft das Virus mit seinen neuen Mutationen nicht auch der Wirksamkeit der Impfung davon?
Ja, leider. Die heute verfügbaren Impfstoffe basieren auf dem Spike-Protein des ursprünglichen Virusstamms aus dem Jahr 2019. Und sowohl die Delta-Variante als auch die neuen Omikron-Varianten weisen im Bereich des Spike-Proteins eine nicht unerhebliche Anzahl an Mutationen auf. Mit der Folge, dass die im Zuge einer Impfung gebildeten Antikörper nicht mehr optimal passen. Dass sich SARS-CoV-2 so schnell verändern würde, damit hatte man in der Wissenschaft tatsächlich nicht gerechnet. Denn die Coronaviren, die wir von harmlosen Erkältungskrankheiten her kennen, tun das nicht in dem Maße. Ich vergleiche Corona ja ungern mit der Grippe, doch die Herausforderung, Impfstoffe immer wieder neu anzupassen, weil sich der Erreger so schnell ändert, scheinen wir nun auch mit SARSCoV-2 zu haben. Derzeit laufen klinische Studien sowohl für mRNA- als auch für Protein-Impfstoffe, die an die Omikron-Variante angepasst sind. Die ersten mRNA-Impfstoffe sind gerade von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen worden und kommen nun für Auffrischungsimpfungen zum Einsatz.
Kürzlich wurde mit dem Impfstoff von Valneva der erste Ganzvirus-Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zugelassen. Was zeichnet ihn aus?
Der Impfstoff VLA2001 von Valneva ist ein sogenannter inaktivierter Ganzvirus-Impfstoff, auch Totimpfstoff genannt. Kern des Impfstoffs ist ein komplettes, inaktiviertes SARS-CoV-2-Virus, das durch seine vielfältigen Angriffsflächen eine breitere Immunantwort auslösen sollte. Durch die zusätzliche Zugabe von Immunstimulatoren, den sogenannten Adjuvantien, ist auch die Hoffnung auf eine stärkere und länger anhaltende Immunantwort gegeben. Allerdings hat auch Valneva seinen Totimpfstoff auf der Basis der ursprünglichen Corona-Variante entwickelt. Dadurch, dass das Immunsystem aber nicht nur mit dem Spike-Protein, sondern auch mit allen anderen viralen Komponenten konfrontiert wird, hat das Virus es deutlich schwerer, sich der Immunantwort zu entziehen.
Gibt es weitere vielversprechende Impfstoffkandidaten, die gerade in der Entwicklung sind?
Was die Entwicklung von Corona-Impfstoffen der 2. Generation betrifft, gibt es zwei unterschiedliche Hauptansätze. Zum einen fokussiert sich die Forschung auf die Entwicklung von Impfstoffen, die verschiedene Varianten des Spike-Proteins enthalten. Zum anderen gibt es vielversprechende Ansätze, neben dem Spike-Protein noch andere virale Komponenten in die Impfstoffformulierung aufzunehmen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Impfstoffe, die mehr als eine Variante des Spike-Proteins enthalten, möglicherweise auch besser gegen andere Varianten schützen, selbst wenn diese nicht im Impfstoff enthalten sind. Ein anderer interessanter Ansatz ist die Entwicklung von mukosalen Impfstoffen, die zum Beispiel über die Nase verabreicht werden können. Hierbei besteht nicht nur die Hoffnung auf Schutz vor einer schweren Erkrankung, sondern dass auch die Infektionsübertragung verhindert werden kann. Diese Forschung steht aber noch relativ am Anfang und benötigt bis zur Zulassung noch Zeit.
SARS-CoV-2 hat die Forschungslabore in den vergangenen zwei Jahren geradezu im Sturm erobert – hat es auch einen Platz in Ihrer Forschung gefunden?
Ja, selbstverständlich. Wir möchten verstehen, warum die Immunantwort nach einer Impfung bei manchen Menschen besser ausfällt als bei anderen. Dabei fahnden wir auch nach Unterschieden zwischen verschiedenen Impfstoffen und Impfstoffkombinationen nach erster, zweiter oder dritter Impfung. Uns interessieren vor allem die Immunmechanismen im Menschen, die erklären könnten, warum die Impfantwort so unterschiedlich ausfallen kann. Am Beispiel der Grippeimpfung untersuchen wir das schon länger und beziehen jetzt Corona in unsere Studien ein. Des Weiteren forschen wir an der Entwicklung von Corona-Impfstoffen der nächsten Generation. Hierbei konzentrieren wir uns vor allem auf Impfungen über die Schleimhäute – zum Beispiel als Spray über die Nasenschleimhaut, um in Zukunft vielleicht einen Impfstoff zur Verfügung zu haben, der auch vor einer Infektion schützt.
Hat die Corona-Pandemie der Impfstoffforschung aus Ihrer Sicht einen Schub gegeben?
Ja, das würde ich voll und ganz unterschreiben. Das ist aber leider auch das einzig Gute an der Pandemie. Das plötzliche Auftreten eines bislang unbekannten und gefährlichen Erregers hat gezeigt: Wir brauchen vorausschauende Forschung. Wir können nicht erst anfangen, wenn die Pandemie in vollem Gange ist. Um Krankheitserregern etwas entgegensetzen zu können, ist Grundlagenforschung im Wortsinne grundlegend. Je mehr wir über Viren, Bakterien und die Funktionsweise unseres Immunsystems wissen, umso schneller und effizienter lassen sich Impfstoffe herstellen. Wichtig dafür ist natürlich auch eine gute interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit. Und das hat man in den vergangenen beiden Jahren der Pandemie tatsächlich schon gemerkt: Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist mehr zusammengerückt und tauscht sich besser aus als je zuvor.
Interview: Nicole Silbermann
Stand: Oktober 2022