Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass derzeit etwa 50 Millionen Menschen chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert sind. Obwohl das Virus seit seiner Entdeckung vor 35 Jahren intensiv erforscht wird und seit etwa zehn Jahren effiziente Therapien zur Verfügung stehen, bleibt die Infektionskrankheit weltweit ein großes Gesundheitsproblem. Denn noch immer stecken sich jährlich etwa 1 Millionen Menschen neu mit dem Virus an und es kommt mehr als 250.000 HCV-bedingten Todesfällen. Eine wirksame Impfung könnte helfen, das Problem anzugehen, konnte aber bisher nicht entwickelt werden, unter anderem weil Studien an Labortieren - in der Regel Mäusen - mit HCV nicht möglich sind. Das Virus infiziert nur Menschen und Schimpansen. Zu verstehen, warum das Virus keine Mäuse infiziert und wie diese Barriere überwunden werden kann, ist daher eine wichtige Frage in der HCV-Forschung.
In vorherigen Arbeiten in New York und Madrid hat Dr. Julie Sheldon, Wissenschaftlerin am Institut für Experimentelle Virologie am TWINCORE und Erstautorin der Studie bereits Varianten von HCV untersucht, die besser an menschlichen Zellkulturen angepasst waren. „Hier beschreiben wir nun die erste HCV-Variante, die Mausleberzellen infizieren kann und sich dort auch vermehrt“, sagt Sheldon. Um dies zu erreichen, nutzen ihre Kolleg:innen und sie eine charakteristische Eigenschaft von HCV aus: „HCV ist ein RNA-Virus, das aufgrund einer hohen Vermehrungs- und Mutationsrate eine sehr große Population von Varianten generiert“, sagt Sheldon. „Diese Vielfalt erlaubt es dem Virus, sich schnell an wechselnde Umgebungsbedingungen anzupassen und ermöglichte es uns, das Virus so zu adaptieren, dass es Mauszellen infiziert.“
„Die neue HCV-Variante repliziert sehr effizient in aus Mäusen isolierten Leberzellen“, sagt Sheldon. Dafür waren insgesamt 35 Veränderungen in den Eiweißen des Virus verantwortlich. Das sind etwa 1% der möglichen Positionen - das Virus ist als noch zu 99% identisch mit dem Ausgangsvirus. „Allerdings funktioniert die Infektion nur, wenn zwei essenzielle menschliche Zelleintrittsfaktoren, CD81 und Occludin, auf der Oberfläche der Mauszellen vorhanden sind und wenn die angeborene Immunantwort der Zellen eingeschränkt ist - entweder genetisch oder durch einen Inhibitor.“
In weiteren Untersuchungen kombinierten die Wissenschaftler:innen die verschiedenen Mutationen in einem sogenannten molekularen Klon. Dieser molekulare Klon wurde eingesetzt, um herauszufinden, mittels welches Mechanismus das Virus die Speziesbarriere überwinden konnte: „Sowohl in den Struktur- als auch in den Nicht-Strukturproteinen waren Mutationen vorhanden, die zu einer erhöhten spezifischen Infektiosität und höherer Replikation führten‘, sagt Dr. Melina Winkler, Zweitautorin der Studie. „Zwar tragen Mutationen in den Hüllproteinen zur Anpassung bei, allerdings sind diese nicht allein für den Phänotyp verantwortlich.“
Die hier erstmalig gezeigte Anpassung des Virus an Mauszellen eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Forschung. „Dadurch sind wir der Entwicklung eines Mausmodells für HCV einen großen Schritt nähergekommen“, sagt Prof. Thomas Pietschmann, Direktor des Instituts für Experimentelle Virologie. „Die Entwicklung eines Impfstoffes ist bisher auch daran gescheitert, dass wir kein Tiermodell hatten. Durch unsere neuen Erkenntnisse rückt dieses nun in greifbare Nähe.“