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Daniela Gornyk (2.v.r.) empfängt Vertreter:innen aus Politik und Presse beim Start von MuSPAD in Reutlingen im Juli 2020
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Ergebnisse der bundesweiten Antikörper-Studie

Von Juli 2020 bis August 2021 hat ein Forschungsteam des HZI mit externer Unterstützung den Antikörper-Status von über 26.000 Menschen in sieben Landkreisen untersucht und so wichtige Daten zum Pandemiegeschehen erfasst.

Eine Tücke des Coronavirus SARS-CoV-2 ist seine Eigenschaft, bei vielen Infizierten nur milde Erkältungssymptome zu verursachen oder sogar völlig unbemerkt zu bleiben. Genau darin liegt sein großer Erfolg: Das Virus lässt den überwiegenden Teil seiner Wirte nur leicht oder gar nicht erkranken und wird ungehemmt weitergetragen. Trotzdem erkrankt eine Minderheit schwer an Covid-19, vor allem Menschen mit geschwächtem Immunsystem aufgrund ihres Alters oder einer Vorerkrankung. Die sehr hohe Gesamtzahl an Infizierten – mittlerweile sind es in Deutschland weit mehr als 6 Millionen registrierte Fälle – zieht trotz des prozentual geringen Anteils eine große Anzahl schwerer Krankheitsverläufe mit sich, die über 100.000 Menschen das Leben gekostet haben. Um sinnvolle Schutzmaßnahmen ableiten zu können, ist es wichtig zu wissen, wie hoch die Dunkelziffer der Infektionen in etwa ist, in welchen Lebensbereichen die meisten Ansteckungen geschehen und an wie viele Menschen eine infizierte Person das Virus durchschnittlich weitergibt.

Im Juli 2020 startete die Abteilung Epidemiologie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) die bundesweit angelegte Studie „MuSPAD“, um Erkenntnisse zu diesen Aspekten zu gewinnen. MuSPAD steht für „Multilokale und Serielle Prävalenzstudie zu Antikörpern gegen SARS-CoV-2-Coronavirus in Deutschland“ und lief bis August 2021. Im Rahmen der Studie bestimmte das Forschungsteam anhand von Blutproben den Antikörperstatus in der Bevölkerung in verschiedenen Landkreisen, die in unterschiedlichem Ausmaß von der Pandemie betroffen waren.

„An jedem Studienort haben wir ein Studienzentrum eingerichtet, in dem den Teilnehmenden jeweils neun Milliliter Blut abgenommen wurden“, sagt HZI-Wissenschaftlerin Manuela Harries. Die Blutproben wurden anschließend auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 getestet, um zu erfahren, ob die Testperson bereits Kontakt mit dem Virus hatte. „Außerdem haben die Teilnehmenden einen Fragebogen zu ihren Lebensumständen beantwortet. Aus diesen Daten können wir zum Beispiel Risikofaktoren für eine Infektion ableiten“, sagt Harries. Die ausgewählten Studienorte waren Reutlingen, Freiburg, Aachen, Osnabrück, Magdeburg, Chemnitz und Vorpommern-Greifswald. Im ersten Durchgang gingen Einladungen zur freiwilligen Teilnahme an über 70.000 Personen, für den zweiten Durchgang noch einmal an knapp 50.000. Die Adressen für die Einladungen haben die Einwohnermeldeämter als zufällige Stichproben gezogen, um einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu erreichen.

„Für eine wissenschaftliche Studie war die Teilnahmebereitschaft ausgesprochen hoch“, sagt HZI-Wissenschaftlerin Daniela Gornyk. Viele Menschen hatten ein großes Interesse zu erfahren, ob sie vielleicht schon eine Infektion durchgemacht hatten, ohne es zu merken. In den Studienzentren haben besonders die Dienstleister BOS 112 und die Johanniter das HZI-Team unterstützt, während die Städte und Landkreise ihre Bevölkerung über die Medien zum Mitmachen aufgerufen haben. Trotz der Hilfe blieb die Studie eine organisatorische Herausforderung: Da ging schon mal ein Wochenende mit dem Drucken und Ausschneiden tausender Barcodes drauf. Zudem gab es auch ablehnende Reaktionen auf die Einladungen, die in Einzelfällen Beschwerden bis hin zu Beschimpfungen nach sich zogen. Viel häufiger trat jedoch das Gegenteil ein: Zahlreiche Menschen ohne Einladung wollten unbedingt bei der Studie mitmachen. „Das hat uns zwar gefreut, aber leider konnten wir keine zusätzlichen Freiwilligen aufnehmen, um den repräsentativen Querschnitt nicht zu verfälschen“, sagt Gornyk.

Mitgemacht haben in der ersten Runde schließlich fast 17.000 Menschen im Alter von 18 bis 99 Jahren. In der zweiten Runde waren davon beinahe 40 Prozent noch einmal dabei, während über 9000 ungeimpfte Personen an sechs Studienorten neu hinzukamen. Um für jeden der Landkreise repräsentative Ergebnisse zu bekommen, hat das Forschungsteam jeweils einen Faktor berechnet, der den Unterschied in der Alters- und Geschlechtsverteilung der Teilnehmenden zur Verteilung in der gesamten Landkreisbevölkerung ausgleicht. Die damit nach Alter und Geschlecht gewichtete Seroprävalenz, also der Anteil der Menschen mit Antikörpern im Blut, lag während der ersten Beprobungen bis Oktober 2020 in Freiburg, Reutlingen, Aachen und Osnabrück zwischen 1,3 und 2,6 Prozent. „Die Mehrzahl der gemeldeten Fälle an den ersten Studienorten im Juli bis Oktober resultierte aus Infektionen während der ersten Welle, was aufgrund der noch nicht so intensiven Testung und vieler symptomloser Infektionen im Sommer auf eine hohe Untererfassung um den Faktor drei bis fünf hindeutet“, sagt Manuela Harries. In den Studienorten, die erst nach der zweiten oder dritten Welle bis August 2021 an der Reihe waren, hatten weitere 2,4 bis 19,9 Prozent der noch nicht geimpften Bevölkerung eine Infektion durchgemacht. Der letzte Studienort war Chemnitz im Juli 2021. Dort lag die gewichtete Seroprävalenz bei den noch nicht geimpften Teilnehmenden bei 32,4 Prozent. Dies kann sowohl dadurch kommen, dass sich ein höherer Anteil der Menschen mit schon bekannter SARS-CoV-2-Infektion nach Einladung zur Teilnahme bereiterklärt oder ein größerer Anteil der Ungeimpften im Vergleich zu den Geimpften bereits eine Infektion durchgemacht hat.

MuSPAD hat ergeben, dass auf jede gemeldete SARS-CoV-2-Infektion zwei bis fünf tatsächlich Infizierte kommen, wobei Infektionen bei über 80-Jährigen häufiger entdeckt wurden. Dabei war die Untererfassung – also die Dunkelziffer – in der zweiten und dritten Welle geringer als in der ersten. Während der ersten Erhebung gaben 2,7 Prozent der Teilnehmenden an, schon einmal in angeordneter Quarantäne gewesen zu sein. Während der zweiten Erhebung waren es 3,2 Prozent. Zusätzlich hatten sich 7,6 bzw. 4,6 Prozent freiwillig in Quarantäne begeben. Antikörper gegen SARS-CoV-2 besaßen 14 Prozent aller Personen, die in Quarantäne waren. Gerundet bedeutet das: Durchschnittlich mussten sieben Personen in Quarantäne gehen, damit darunter eine infizierte Person sichergestellt werden konnte. Unter den Teilnehmenden, die nie in Quarantäne gewesen sind, hatten übrigens 2,1 Prozent Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut.

„Die Studie gibt uns verlässliche Zahlen zur regionalen und altersspezifischen Untererfassung und zum Infektionsgeschehen in unterschiedlichen Phasen der Pandemie“

Manuela Harries, HZI-Wissenschaftlerin

Interessante Ergebnisse lieferte auch die Befragung zu den Lebensumständen: So lag der Anteil der Menschen, die täglich rauchen, in Freiburg bei 10,1 Prozent, in Greifswald dagegen bei 23,8 Prozent. Sie erkrankten seltener, dafür häufig aber schwerer. Einen Hochschulabschluss gaben in Freiburg 70,2 Prozent an, in Chemnitz 38 Prozent. In diesem Zusammenhang ist bekannt, dass Personen mit höherem sozioökonomischem Status seltener erkranken, was zum Beispiel daran liegen kann, dass sie häufiger die Möglichkeit haben, die Arbeit ins Homeoffice zu verlegen und so ihre täglichen Kontakte zu reduzieren.

„Die Studie gibt uns verlässliche Zahlen zur regionalen und altersspezifischen Untererfassung und zum Infektionsgeschehen in unterschiedlichen Phasen der Pandemie“, sagt Manuela Harries. „Sie hilft damit, das pandemische Geschehen und die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen in unterschiedlichen Regionen und Bevölkerungsgruppen in Deutschland besser zu verstehen.“

Weitere Erkenntnisse erhofft sich Harries von einem zusätzlichen Studiendurchgang, der in Hannover stattgefunden hat: Dort sind fast 3000 Personen, die bereits an der größten Bevölkerungsstudie Deutschlands – der NAKO Gesundheitsstudie – teilgenommen haben, der Einladung des MuSPAD-Teams gefolgt. „Durch den Abgleich unserer Befunde mit den bereits erhobenen NAKO-Daten zum Gesundheitszustand, Lebensstil oder zu Erbfaktoren der Teilnehmenden können wir möglicherweise Aussagen über langfristige Auswirkungen einer Coronavirus-Infektion ableiten.“ Erste Ergebnisse seien aber erst 2022 zu erwarten.

Autor: Andreas Fischer

Veröffentlichung: Dezember 2021

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Dr. Andreas Fischer
Wissenschaftsredakteur