Frau Medina, welche Möglichkeiten gibt es, resistente Erreger zu bekämpfen?
Ein gutes Mittel gegen multiresistente Bakterien wären neue Antibiotika, die nicht zu den bisher eingesetzten Stoffklassen gehören. Allerdings schieben sie das eigentliche Problem nur auf: Antibiotika töten Bakterien und üben so einen Selektionsdruck aus. Das heißt, die Bakterien kämpfen ums Überleben und entwickeln in der Folge Resistenzen. Um das zu umgehen, untersuchen wir die sogenannte Antivirulenz-Strategie: Deren Ziel ist es, Erreger nur zu entwaffnen, sodass ihr Infektionserfolg vermindert wird – sie also weniger virulent sind – und das Immunsystem sie leichter beseitigen kann.
Wie funktioniert das genau?
Die Erreger bilden eine Vielzahl von Werkzeugen aus, die sie zur erfolgreichen Kolonisierung des Wirtes brauchen, sogenannte Virulenzfaktoren. Das sind zum Beispiel Proteine, mit deren Hilfe sie in Wirtszellen eindringen oder sich gegen das Immunsystem wehren. Im Zuge der Antivirulenz-Strategie suchen wir nach Hemmstoffen, die solche Werkzeuge blockieren und die Erreger unschädlich machen. Der Vorteil ist, dass die Bakterien nicht abgetötet werden, also einem verminderten Selektionsdruck unterliegen. So bilden sich nicht so schnell Resistenzen gegen den Hemmstoff.
Wie weit sind Sie mit der Antivirulenz-Forschung?
Das Feld ist recht neu, wir stehen also noch am Anfang. Eine Herausforderung besteht darin, gut geeignete Virulenzfaktoren zu finden, deren Inaktivierung den gewünschten Effekt hat. Wir haben zum Beispiel Proteasen untersucht; das sind Enzyme, mit denen Bakterien Effektoren des Immunsystems des Wirtes entgegenwirken, aber auch Wirtsproteine verdauen, um Nährstoffe zu gewinnen. In Infektionsversuchen mit verschiedenen Mausstämmen haben wir nun aber herausgefunden, dass Staphylokokken ihre Proteasen unterschiedlich stark ausbilden. Dies könnte bedeuten, dass ein Hemmstoff, der Proteasen inaktiviert, bei einem Patienten helfen könnte, bei einem anderen aber wirkungslos bleiben würde. Wir müssen daher Virulenzfaktoren finden, deren Bildung vom Wirt unabhängig ist.
Haben Sie dafür schon mögliche Kandidaten im Blick?
Ja, Bakterien besitzen bestimmte Enzyme gegen oxidativen Stress, da manche Immunzellen durch die Bildung von Sauerstoff-Radikalen Erreger abtöten. Diese Enzyme werden von Staphylokokken während einer Infektion immer gleich gebildet. Unsere Ergebnisse beschränken sich im Moment allerdings auf Untersuchungen an Staphylokokken, es ist also noch sehr viel Forschung an anderen Erregern nötig. Hinzu kommt, dass ein Erreger zum Beispiel zu Beginn einer Infektion andere Virulenzfaktoren bildet als im späteren Verlauf. Auch das gilt es zu berücksichtigen.
Das klingt nach vielen Baustellen.
Richtig, aber die Antivirulenz-Strategie bietet auch viele Ansatzpunkte: Wenn wir wissen, welche Virulenzfaktoren in welchem Stadium einer Infektion aktiv sind, können wir viel gezielter eingreifen. Antibiotika töten sich vermehrende Bakterien, sind aber gegen persistierende, also dauerhaft eingenistete Erreger wirkungslos, weil diese sich nicht mehr teilen. Persistierende Infektionen sind heutzutage ein großes Problem. Zum Beispiel überdauern Pseudomonas-Bakterien in Biofilmen und schützen sich darin vor Antibiotika. Wenn wir die Faktoren hemmen, die die Bakterien zur Biofilmbildung brauchen, könnten wir auch die Persistenz verhindern. Ein anderes Beispiel ist die Lungenentzündung: Dafür kommen mehrere Erreger infrage, weshalb zuerst ein Breitband-Antibiotikum verabreicht wird, bis der Erreger bestimmt ist. In dieser Zeit kann er aber bereits Resistenzen entwickeln, und es werden Bakterien der Darmflora getötet. Ein Antivirulenz-Mittel könnte in diesem Fall gezielter wirken, ohne Resistenzen zu generieren und nützliche Bakterien zu töten.
Wie steht denn die Medizin diesem Ansatz gegenüber?
Das Interesse ist sehr groß, denn gerade Kliniken haben mit multiresistenten Keimen und persistierenden Infektionen zu kämpfen. Über das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung stehen wir mit Medizinern in regem Austausch. Das Ziel ist, so schnell wie möglich Antivirulenz-Mittel in den klinischen Einsatz zu bringen, wozu jedoch noch intensive Grundlagenforschung nötig ist.
Auf welche Forschungsfragen konzentrieren Sie sich?
Wir wollen verstehen, wie sich Wirt und Erreger während einer Infektion gegenseitig beeinflussen und so geeignete Angriffspunkte finden. Dazu müssen wir wissen, wann welche Gene aktiv sind, was wir wiederum aus sogenannten RNA-Profilen ablesen können. Für diese Studien können wir sehr gut mit dem neu gegründeten Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg zusammenarbeiten. Außerdem testen wir verschiedene Substanzen in der Zellkultur und in Mäusen auf eine mögliche antivirulente Wirkung. Kandidaten erhalten wir von Forschungsgruppen des HZI und des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland. Und auch ein Ansatz für die personalisierte Medizin steckt in der Antivirulenz-Strategie, denn verschiedene Patientengruppen reagieren unterschiedlich auf Erreger und Behandlungen.
Könnten Antivirulenz-Therapien bereits bestehende Resistenzen wieder eindämmen?
Sehr optimistisch betrachtet wäre das möglich, da Bakterien Resistenzen auch verlieren können, wenn sie sie lange nicht gebraucht haben. Dazu müssten aber viele Antivirulenz-Mittel und deutlich weniger Antibiotika im Einsatz sein. Ganz auf Antibiotika werden wir allerdings nicht verzichten können, denn wir brauchen sie weiterhin, um sicher zu gehen, die Erreger wirklich in allen Geweben zu erwischen. In Kombination mit Antivirulenz-Mitteln könnten wir aber ihre Dosis herabsetzen. So würden weniger nützliche Bakterien getötet und der Selektionsdruck auf Krankheitserreger verringert werden.
Interview: Andreas Fischer