Erste Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 sind mittlerweile in Europa und anderen Ländern zugelassen, doch Medikamente zur spezifischen und effizienten Behandlung von COVID-19 sind bisher kaum verfügbar – aber dringend notwendig. Angesichts der typischerweise langen Entwicklungszeiten von Medikamenten fußt der Ansatz der iCAIR®-Forschenden auf dem sogenannten Drug Repurposing – also der Nutzung von Medikamenten, die bereits für andere Indikationen zugelassen sind.
Zuallererst durchsuchten die Forscherinnen und Forscher vom Institute for Glycomics (IfG) der Griffith University, des HZI und des Fraunhofer ITMP Substanzbibliotheken nach geeigneten Wirkstoffkandidaten. Erste wissenschaftliche Ergebnisse sind bereits zur Publikation akzeptiert: Am IfG suchten Forschende unter Prof. Michael Jennings zunächst in einem biophysikalischen und computergestützten Ansatz gezielt nach Substanzen, die die Interaktion zwischen dem SARS-CoV-2-Spike-Protein und seinem Rezeptor ACE2 blockieren können. Schließlich bestätigten IfG-Mitglieder des iCAIR-Konsortiums, dass die so identifizierten Wirkstoffkandidaten in Bindungs- und Zellinfektionsexperimenten aktiv sind.
Der Projektpartner Fraunhofer ITMP konnte durch experimentelles Screening von über 5000 Substanzen knapp 20 vielversprechende Wirkstoffe identifizieren, welche in geringer Konzentration (unter 1 µM) gegen SARS-CoV-2 wirksam sind. Unter diesen Kandidaten befinden sich auch Camostat und Nafamostat – zwei Proteaseinhibitoren, deren Wirksamkeit bereits im Zellkulturmodell gezeigt werden konnte. In einer jüngst zur Veröffentlichung angenommenen Studie, die von einer Forschergruppe unter Prof. Stefan Pöhlmann am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) unter Beteiligung von iCAIR®-Forschenden durchgeführt wurde, konnte die Wirkung nun auch in SARS-CoV-2-infizierten menschlichen Lungengewebsschnitten, sogenannten PCLS, bestätigt werden. Die beiden Wirkstoffe Camostat und Nafamostat, die eigentlich als Bauchspeicheldrüsenmedikamente eingesetzt werden, hemmen die menschliche Protease TMPRSS-2, welche das Virus für den erfolgreichen Eintritt in die Wirtszelle benötigt, wobei Nafamostat eine höhere Wirksamkeit zeigt.
Die iCAIR®-Projektpartner haben bereits Wirksamkeits- und Sicherheitstests mit Nafamostat begonnen. Dabei kommen unterschiedliche Zell- und Gewebekulturmodelle zum Einsatz – unter anderem auch die PCLS, die am Fraunhofer ITEM etabliert wurden. Bei der Wirksamkeitstestung sollen zukünftig auch die neuen SARS-CoV-2-Varianten berücksichtigt werden, welche sich derzeit immer stärker verbreiten. Haben die Wirkstoffkandidaten die Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfungen bestanden, werden sie für eine inhalative Verabreichung weiterentwickelt – beispielsweise in den Fraunhofer-Projekten RENACO und DRECOR. Diese Applikationsform wurde gewählt, weil damit einerseits hohe lokale Wirkstoffkonzentrationen in der Lunge, dem primären SARS-CoV-2-Zielorgan, erreicht werden können und andererseits die Nebenwirkungen bei einer lokalen Medikamentenverabreichung geringer ausfallen dürften. Nach einer GLP-Studie zur Inhalationstoxikologie wird der Weg für eine erste klinische Erprobungsphase des inhalativ verabreichten Nafamostat offen sein. Läuft alles optimal, kann dieser Schritt noch 2021 gegangen werden.
Weitere aktuelle Informationen zu den Partnern und Projekten des internationalen Forschungskonsortiums iCAIR® finden Sie auf der iCAIR®-Webseite.