HZI: Sie starteten als eine der jüngsten Professorinnen an der Universität Basel. Welche Erfahrungen haben Sie damals gemacht?
Helma Wennemers: Stimmt, aber selbst empfindet man diese Situation als gar nicht so ungewöhnlich. Man macht einen Schritt nach dem anderen. Ich hatte während des Studiums zunächst eine Laufbahn in der Industrie im Sinn. Während der Dissertation packte mich die Begeisterung an der Forschung und an einer Universitätslaufbahn.
Welchen Rat würden Sie Nachwuchsforschern mit auf den Weg geben?
Vertrau auf dein Bauch-Kopf-Gefühl! Orientiere Dich ruhig an Vorbildern, aber vergiss nicht: Jeder geht seinen Weg individuell! Wenn du etwas wirklich erreichen möchtest, dann arbeite hart und verfolge Dein Ziel hartnäckig!
Was schätzen Sie am Schweizer Forschungssystem?
Das Forschungssystem der Schweiz ist sehr international aufgestellt. Derzeit sind zum Beispiel in meiner 20-köpfigen Forschungsgruppe mehr als zehn Nationalitäten vertreten. Das bringt Menschen mit verschiedenen Erfahrungshintergründen in Wissenschaft und Kultur zusammen und ist in jeder Hinsicht bereichernd.
Sie haben auch in den USA und in Japan studiert und gearbeitet. Wie hat sie das geprägt?
Sehr. Ohne diese Erfahrungen wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Das Kennenlernen anderer Forschungsgebiete und anderer Kulturen – im Kleinen und Großen, also die Landes-und Laborkultur – waren wegweisend. Eine der wichtigsten Botschaften dabei war: Es ist gut, verrückte Ideen auszusprechen und zu verfolgen.
Woran forschen Sie derzeit an der ETH Zürich?
Meine Forschung ist in der organischen Synthese verankert und beschäftigt sich mit Fragestellungen in der asymmetrischen Katalyse, mit der chemischen Biologie und der Entwicklung neuer Materialien. Dabei geht es immer um das Verständnis der Natur auf der molekularer Ebene und die Nutzung der organischen Chemie zur Synthese von Verbindungen mit neuen, gewünschten Eigenschaften. Zum Beispiel untersuchen wir synthetisch zugängliche Kollagen-Modellpeptide, um die Stabilität von Kollagen zu begreifen, und nutzen derzeit die gewonnenen Erkenntnisse dann zur Entwicklung neuer biokompatibler Materialien für die Wundheilung.
Mittels des Zufallsprinzips haben Sie nach einem antibiotischen Wirkstoff gesucht. Wie sind der Zufall und das Unerwartete vereinbar mit wissenschaftlichen Arbeit und „Exzellenz“?
Forschung bedeutet Vordringen in Unbekanntes. Das beinhaltet, dass wir Forscher nicht alles bereits wissen und vorausplanen können, was uns auf dem Weg zum Ziel erwartet. Insofern ist der Zufall ein Wegbegleiter der Forschung. Wobei es eine besondere Art des Zufalls ist – „Serendipity“. Die Bedeutung des unerwarteten Resultats, des Zufalls, muss erkannt werden und nicht als ungewolltes Ergebnis verworfen werden. Und natürlich muss auch die ursprüngliche Fragestellung von Wert sein. – Glücklicherweise belohnt die Natur den Tüchtigen oft mit einem überraschenden Befund. Populäre Beispiele sind Teflon, Post-it, die Entdeckung Amerikas oder Aspartam.
Chemie hat für Viele ein schlechtes Image – zum Beispiel als Schulfach und in der Industrie. Was entgegnen Sie dann?
Ich höre mir an, woher das schlechte Image kommt: „Chemie kann man ja gar nicht begreifen“, „Chemie ist, wenn es knallt und stinkt“, „Chemie ist schlecht, heißt es da. Oft sind es Unwissenheit und Angst vor dem Unbekannten, die zu diesen Ansichten führen. Vielfach ist auch nicht bekannt, dass der Großteil aller Medikamente und Materialien unseres Alltags von Chemikern hergestellt wird. Solche Ansätze, wie einfache Chemieexperimente bereits im Kindergarten durchzuführen, öffentliche, allgemeinverständliche Vorträge und gute Medienarbeit der Forschungsinstitutionen sind wichtig, um gegenzusteuern.
Sie haben im Schweizer Fernsehen und im Radio chemische Phänomene spannend erklärt. Was hat sie dazu motiviert, Chemie auf diese Weise zu vermitteln?
Es macht Spaß, „Aha-Momente“ nicht nur an Studenten, sondern auch an die Öffentlichkeit zu vermitteln. Ich möchte damit dem Ruf der Chemie – „Das kann man ja gar nicht verstehen“ – entgegensteuern. Wenn man komplexe Themen einfach erklärt, kann man damit ein Verständnis für die Chemie in der Öffentlichkeit vermitteln und Menschen die Angst vor Unbekanntem nehmen.
Im November hielten Sie im Rahmen der Innhoffen-Preisverleihung eine Vorlesung am HZI. Welche Bedeutung hat für Sie die Inhoffen-Medaille?
Eine sehr, sehr große! Die Inhoffen-Medaille ist ein bedeutender Preis und es ist natürlich großartig, in den erlesenen Kreis der bisherigen Preisträger aufgenommen zu sein. Zudem hat der Preis noch eine besondere persönliche Komponente: Prof. Hans-Herloff Inhoffen ist als Doktorvater meines „Diplomarbeits-Vaters“, Prof. Gerhard Quinkert, einer meiner wissenschaftlichen Großväter. Auch wenn ich nur acht Monate im Labor von Herrn Quinkert verbracht habe, so war es eine sehr wichtige Zeit. Mir ist mittlerweile klar, wie sehr Quinkert von Inhoffen geprägt wurde und damit wurde auch ich von Inhoffen geprägt. Über die Preisverleihung mit diesen beiden großen Namen – Quinkert war der erste Preisträger der Inhoffen-Medaille – verbunden zu sein, ist etwas ganz Besonderes.
Vielen Dank für das Interview.