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Immun-Molekül mit versteckten Talenten

Antikörper wehren nicht nur Erreger ab, sie übermitteln auch Botschaften zwischen Immunzellen

Die dendritischen Zellen, kurz „DC“ genannt, erfüllen im Immunsystem eine Schlüsselaufgabe: Sie nehmen Krankheitserreger auf, zerlegen sie in ihre Einzelteile und tragen die Bruchstücke anschließend auf ihrer Oberfläche. Andere Zellen des Immunsystems wiederum können diese Teile erkennen und werden aktiviert, ihr eigenes Programm zur Bekämpfung der Erreger „abzuspulen“. Um ihre Aufgabe erfüllen zu können, benötigen die DC allerdings Unterstützung durch eine ganz andere Komponente des Immunsystems, die man bislang nicht mit ihnen in Verbindung gebracht hat: Die durch Impfungen und aus der Diagnostik bekannten Antikörper. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) konnten jetzt zeigen, dass Antikörper für die Reifung von DC unerlässlich sind. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler im renommierten Wissenschaftsjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.

 

Im menschlichen Immunsystem arbeiten gut ein halbes Dutzend verschiedene Zelltypen zusammen. Dabei kommt es auf das richtige Teamwork an, denn jede Sorte Zellen ist auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert. Nur so können sie in den Körper eingedrungene Keime abwehren und Krankheiten verhindern. Fällt einer der „Teamplayer“ aus, kann das ganze System empfindlich gestört werden. Genau das beobachteten die Forscher um Dr. Siegfried Weiß, Leiter der Abteilung „Molekulare Immunologie“ am HZI, in Mäusen mit einem Immundefekt: „Die so genannten RAG-Mäuse haben kein adaptives, also erworbenes Immunsystem“, erklärt Weiß. „Ihnen fehlen deshalb unter anderem die Antikörper produzierenden B-Zellen.“

Die dendritischen Zellen gehören zum anderen Teil des Immunsystems – dem angeborenen, das weniger flexibel, aber dafür sehr schnell reagieren kann. Sie sollten deshalb von der Schädigung der erworbenen Immunabwehr nicht betroffen sein. Dennoch fiel den Wissenschaftlern auf, dass DC aus diesem Mausstamm nicht richtig funktionieren: Ihre Reifung ist gestört, und statt die Erreger in Bruchstücke zu zerlegen, bauen sie sie einfach komplett ab. „Diese Bruchstücke werden Antigene genannt. Die Präsentation der Antigene ist die Hauptaufgabe der dendritischen Zellen“, sagt die an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin Dr. Natalia Zietara. „Antigenpräsentation ist eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen den angeborenen und erworbenen Teilen des Immunsystems. Bleibt sie aus, so werden die nachfolgenden Immunreaktionen nicht ausgelöst“, ergänzt ihr Kollege Dr. Marcin Lyszkiewicz. Das sonst so präzise Zusammenspiel der Zellen kommt zum Erliegen, eine zielgerichtete Abwehr eindringender Erreger durch das erworbene Immunsystem kann nicht mehr stattfinden.

Ausgehend von dieser Beobachtung wollten die Immunologen wissen, was die Störung der DC-Funktion auslöst. Zunächst untersuchten sie die Merkmale auf der Oberfläche der dendritischen Zellen, konnten hier aber keine Abweichungen von der Norm feststellen. Erst bei der Untersuchung des Transkriptoms, also der Gesamtheit der Gene, die in den untersuchten Zellen aktiv sind, wurden die Forscher fündig: Die Aktivität von wenigen Genen war verändert. Darunter auch die Gene für eine Gruppe von Rezeptoren, die Antikörper binden können. Mit weiteren Experimenten konnten die Forscher nachweisen, dass ebendiese Moleküle die Reifung der DC anregen.

Die Antikörper, die man auch als „Immunglobuline“ bezeichnet, werden von B-Zellen produziert. Normalerweise neutralisieren sie Giftstoffe oder Viren und markieren Bakterien, damit andere Immunzellen diese unschädlich machen können. Das Prinzip der Schutzimpfung beruht darauf, dass der Organismus angeregt wird, Antikörper zu produzieren, die später im Ernstfall – bei Kontakt mit dem jeweiligen Erreger – die Krankheit verhindern können. Die jetzt beschriebene Rolle der Antikörper war bis dato nicht bekannt. „Dass B-Zellen und dendritische Zellen mittels Immunglobulinen kommunizieren, wussten wir bislang nicht. Hier wird wieder einmal deutlich, wie komplex das Immunsystem eigentlich ist und dass wir es noch lange nicht völlig verstanden haben“, sagt Dr. Andreas Krueger, Leiter der Arbeitsgruppe „Lymphozytenbiologie“ am Institut für Immunologie an der MHH. Die Forscher haben sozusagen ein verstecktes Talent der Antikörper entdeckt.

Natalia Zietara und Marcin Lyszkiewicz sind die gemeinsamen Erstautoren der Studie. Sie haben die Untersuchungen während Ihrer Doktorarbeiten in der Abteilung von Siegfried Weiß am HZI begonnen und sind nach der Promotion an die MHH gewechselt. Im Labor von Andreas Krueger konnten sie das Projekt abschließen. „Ein Musterbeispiel für wissenschaftliche Zusammenarbeit“, wie Weiß findet. An dem Forschungsprojekt waren außerdem zwei weitere Gruppen des HZI sowie Wissenschaftler der Universität Freiburg und des dortigen Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik beteiligt.

Originalpublikation:

Natalia Zietara, Marcin Lyszkiewicz, Jacek Puchalka, Gang Pei, Maximiliano Gabriel Gutierrez, Stefan Lienenklaus, Elias Hobeika, Michael Reth, Vitor A. P. Martins dos Santos, Andreas Krueger, Siegfried Weiss
Immunoglobulins drive terminal maturation of splenic dendritic cells
Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013

 

Die Abteilung „Molekulare Immunologie“ am HZI untersucht die Rolle von Signalmolekülen im Immunsystem. Die Wissenschaftler erforschen unter anderem, wie Immunzellen während einer Infektion miteinander kommunizieren und welche Botenstoffe sie dafür nutzen.

 

Die Gruppe "Lymphozytenbiologie" des Exzellenzclusters REBIRTH am Institut für Immunologie der MHH arbeitet daran, grundlegende Prozesse der Entwicklung des Immunsystems besser zu verstehen, um auf deren Basis Strategien zu entwickeln, das Immunsystem nach einer Knochenmarktransplantation effizient wieder herzustellen.