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Metabolismus, Mathe, Medizin: Wenn Bakterien berechenbar werden

Forscher am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) haben erstmalig ein umfassendes Modell der Stoffwechselvorgänge im Bakterium Pseudomonas aeruginosa vorgelegt. Damit ist die Basis geschaffen, um neue Therapiekonzepte gegen diesen infektiösen Keim zu entwickeln. Mit ihrer Arbeit zeigen die Braunschweiger Wissenschaftler darüber hinaus, wohin die moderne Biomedizin tendiert: "Wir betrachten die Zelle heute mehr denn je als ein vernetztes, biologisches System", so Projektleiter Dr. Vítor Martins dos Santos. "Mit Hilfe mathematischer Modelle können wir das Verhalten des Systems nun teilweise vorhersagen und durch Simulationen dann ganz neue Therapiekonzepte entwerfen."

Pseudomonas aeruginosa lebt nahezu überall. Im Wasser, im Boden, auf und in uns, also auch im Krankenhaus. Gerade hier ist die Mikrobe problematisch, da sie insbesondere immungeschwächte Patienten angreifen und krank machen kann. "Bakterien, die überall vorkommen, haben von Natur aus einen sehr variablen Stoffwechsel, der sie sehr flexibel macht", sagt Martins dos Santos. Man spricht von einer metabolischen Wandelbarkeit. Diesem Phänomen liegt im Falle von Pseudomonas ein für Bakterien als sehr groß zu erachtendes Genom zugrunde. Martins dos Santos: "Das Bakterium ist deswegen sehr robust, vielseitig und vermehrt sich schnell."

Bereits im Jahr 2000 wurde das Genom des Pseudomonas-Stammes PAO1 vollständig entschlüsselt. Doch das bloße Wissen um die genaue Abfolge der DNA-Bausteine im Erbmaterial macht den Keim für neue synthetisierte Antibiotika oder andere therapeutische Ansätze keineswegs wirklich angreifbar. Gene liefern den Bauplan einer Zelle, lassen aber nur bedingte Aussagen über dessen biologische Umsetzung zu. "Wir müssen wissen, was die Genaktivität im Einzelnen auslöst und wo die Produkte der Genaktivität, etwa die Enzyme, im Zellstoffwechsel wirken. Und das sollten wir für jeden Zeitpunkt und an jeder Stelle des Stoffwechsels wissen", überlegt Martins dos Santos. Er fragt deswegen nicht, welche Aufgabe ein Enzym im Zellstoffwechsel hat; er möchte vielmehr wissen, wo er es im zeitlichen Ablauf des Zellzyklus überall entdecken kann -- er quantifiziert.

Vítor Martins dos Santos untersuchte deswegen mit seinem Team experimentell, welche Funktionen und Reaktionen von einem Enzym oder anderen Genprodukten direkt oder auch indirekt beeinflusst werden. Sobald die HZI-Forscher dies von allen Genprodukten in Erfahrung gebracht hatten, beschrieben sie die Vorgänge in Form eines Netzwerks. Man spricht dann von einem sogenannten genom-basierten, metabolischen Netzwerk.

"Wir haben die Daten eines der größten Bakteriengenome als metabolisches Netzwerk dargestellt", fasst der Forscher zusammen. "Jetzt können wir teilweise prognostizieren, was passiert, wenn hier oder dort im Stoffwechsel von Pseudomonas eingegriffen wird." Diese Simulationen sollen dann Hinweise auf medizinische Interventionen liefern, die gerade bei Infektionen häufig Mangelware sind. "Seit mehr als 330 Jahren wird an Zellen und Keimen geforscht und dennoch, sie sind eine ,blackbox' von der man nicht wirklich weiß, was im Innern geschieht", so Martins dos Santos: "Mit systembiologischen Ansätzen wie unserem wird nun das tatsächliche Geschehen in der Zelle sichtbar."

Orginalpublikation:
M A Oberhardt et al (2008): Genome-scale metabolic network analysis of the opportunistic pathogen Pseudomonas aeruginose PAO1.
J. Bacteriol: JB.01583-07v1.