Der Botenstoff cAMP spielt eine Schlüsselrolle bei zahlreichen Stoffwechselprozessen des Menschen. Dem Ziel, die Entstehung dieses Botenstoffs möglichst passgenau zu steuern, sind Wissenschaftler aus den USA und Deutschland jetzt einen entscheidenden Schritt nähergekommen: Sie entdeckten, dass ein Molekül namens LRE1 einen bestimmten Weg der cAMP-Entstehung in der Zelle blockieren kann – ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Die neuen Erkenntnisse tragen wesentlich zum Verständnis von Signal-Ketten in der Zelle bei. Zudem können sie Grundlagen für zukünftige Therapieansätze schaffen, beispielsweise im Bereich von Augen- oder Hauterkrankungen. Zusammen mit US-amerikanischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen waren das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und die Universität Bayreuth an der Entdeckung beteiligt. In der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology stellen die Forschungsgruppen ihre Ergebnisse vor.
Bei der Übertragung von Signalen im Körper hat das Molekül cyclisches Adenosinmonophosphat, kurz cAMP, eine entscheidende Funktion: Es entsteht unter anderem an der Zellmembran, von wo aus es spezielle Informationen in verschiedene Bereiche der Zelle übermittelt und biochemische Reaktionen auslöst. Dieser Weg der cAMP-Synthese ist zum Beispiel unentbehrlich, wenn das Stresshormon Adrenalin die zur Abwehr von Gefahren erforderlichen Energiereserven mobilisiert.
Ein signifikanter Teil des cAMP entsteht allerdings auf andere Weise – nämlich dadurch, dass es im Zellinneren durch lösliche Adenylatcyclase (sAC) gebildet wird. Dieses Enzym produziert größere Mengen des Botenstoffs vor allem dann, wenn das in der Zelle gelöste Kohlendioxid zunimmt. Dieser zweite Weg der cAMP-Entstehung ist an der Steuerung zahlreicher Prozesse beteiligt, wie etwa Zellatmung, Insulinfreisetzung, Spermienaktivierung und die Regulation des Augeninnendrucks.
„Es ist von zentraler Bedeutung, diese beiden Stoffwechselwege und die unterschiedlichen Signalfunktionen der so gebildeten cAMP-Moleküle voneinander abgrenzen zu können“, erklärt Clemens Steegborn, Professor für Biochemie an der Universität Bayreuth. „Diese Abgrenzung ist zunächst einmal wichtig, um die Signalübertragungswege in der Zelle besser verstehen zu können. Darüber hinaus aber ist sie hilfreich, wenn man Eingriffe in cAMP-gesteuerte Prozesse künftig für medizinische Anwendungen nutzen will. Die Wirkungen solcher Eingriffe sollten sich möglichst zielgenau eingrenzen lassen.“
Daher suchen Forscher schon seit längerem nach Wegen, entweder nur die cAMP-Synthese durch sAC oder aber nur die cAMP-Entstehung an der Zellmembran zu unterbinden. Bisher identifizierte Hemmstoffe wirken zu undifferenziert und haben in vielen Fällen starke unerwünschte Nebenwirkungen. Genau hier zeigt sich die Bedeutung des jetzt entdeckten Inhibitors LRE1. Die chemische Bezeichnung dafür lautet „6-chloro-N4-cyclopropyl-N4-[(thiophen-3-yl)methyl]pyrimidine-2,4-diamine”. Dieses Molekül kann das Enzym sAC lahmlegen und die dadurch geförderte Synthese von cAMP blockieren. Es hat aber nach dem derzeitigen Forschungsstand keine unerwünschten Auswirkungen auf andere biochemische Prozesse innerhalb der Zelle. Auch die von der Zellmembran abhängige Entstehung von cAMP bleibt unbeeinträchtigt. Die Forscher in Deutschland und den USA entdeckten diese vielversprechende selektive Wirkung von LRE1 mithilfe einer hoch effektiven Screening-Technologie, die schnelle massenspektrometrische Analysen von Molekülen ermöglicht.
„Wir hoffen, dass die Entdeckung des Inhibitors LRE1 in Zukunft einmal helfen wird, gezielt in Stoffwechselprozesse eingreifen zu können und dadurch Therapien zu ermöglichen. Bis dahin ist aber noch viel Forschungsarbeit nötig“, sagt Joop van den Heuvel, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) die Arbeitsgruppe Rekombinante Proteinexpression sowie die Protein Sample Production Facility (PSPF) leitet. Schnellere Erfolge könnte der Einsatz von LRE1 für die Grundlagenforschung bringen. „Wir sind sicher, dass die Substanz viel zum Verständnis der Signalübertragungswege innerhalb von Zellen beitragen wird“, ergänzt Clemens Steegborn.
An der Universität Bayreuth hat Steegborn die molekularen Strukturen aufgeklärt, die für die Bindung des Hemmstoffs LRE1 an das Enzym sAC entscheidend sind und bei künftigen biomedizinischen Anwendungen in Betracht gezogen werden müssen. Zudem hat er an der Analyse der biochemischen Mechanismen mitgewirkt, die dazu führen, dass sAC deaktiviert und die Entstehung von cAMP unterdrückt wird. Diese Forschungsarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Joop van den Heuvel hat am HZI in Braunschweig ein Verfahren entwickelt, mit dem sich das Enzym sAC in größeren Mengen mithilfe tierischer Zellen synthetisieren lässt. Erst dadurch waren die umfangreichen Untersuchungen zur Struktur und Funktion von sAC möglich. Wissenschaftler des Weill Cornell Medical College und der Rockefeller University in New York sowie der University of Massachussetts haben den Hemmstoff LRE1 identifiziert und untersucht, wie sich die unterdrückte cAMP-Bildung auf zelluläre Prozesse auswirkt.
Originalpublikation:
Lavoisier Ramos-Espiritu, Silke Kleinboelting, Felipe A. Navarrete, Antonio Alvau, Pablo E. Visconti, Federica Valsecchi, Anatoly Starkov, Giovanni Manfredi, Hannes Buck, Carolina Adura, Jonathan H. Zippin, Joop van den Heuvel, J. Fraser Glickman, Clemens Steegborn, Lonny R. Levin, Jochen Buck: Discovery of LRE1, a Specific and Allosteric inhibitor of Soluble Adenylyl Cyclase. Nature Chemical Biology, 2016. http://dx.doi.org/10.1038/nchembio.2151
Pressemitteilung der Universität Bayreuth: https://www.uni-bayreuth.de/de/universitaet/presse/pressemitteilungen/2016/124-signaluebertragung/index.html