Portrait Thomas Pietschmann
Thomas Pietschmann ist HZI-Programmsprecher für das Helmholtz-Programm „Infektionsforschung“.
Interview

Thomas Pietschmann: „Die Pandemie zeigt, wie wirksam kooperative Forschung sein kann“

Ein Gespräch über die Ausrichtung der Forschung am HZI mit Prof. Thomas Pietschmann, Leiter der HZI-Abteilung „Experimentelle Virologie“ und Direktor des gleichnamigen Instituts am TWINCORE – Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung.

Die Helmholtz-Gemeinschaft forscht in Programmen, die den Rahmen für die Aktivitäten der einzelnen Helmholtz-Zentren bilden. Das HZI hat sich dem Programm „Infektionsforschung“ verschrieben. Welche Schwerpunkte und strategischen Ziele verfolgt das HZI?
Unsere übergeordnete Aufgabe ist es, Forschung zur Lösung großer gesellschaftlicher Fragen zu betreiben. Um dabei effektiv zu sein, gibt es aus meiner Sicht drei strategische Ziele, die wir ansteuern. Das erste ist die Digitalisierung: Aufgrund der neuen Technologien erheben wir Datenmengen in bisher unbekannten Maßstäben. Ein Schlüssel zum Erfolg ist es, diese Daten optimal nutzbar zu machen und einzusetzen, um Infektionsprozesse ganzheitlich zu verstehen. Das Stichwort Kooperation – nach innen wie außen und auch international – ist für mich das zweite strategische Ziel. Durch kluge Vernetzung können wir wirksamer sein. Als drittes sehe ich das Thema Entwicklung. Aufbauend auf einer starken und tiefen Grundlagenforschung können wir durch die Verstärkung unserer Entwicklungskompetenzen mehr Wirkung in Richtung Anwendung und Wertschöpfung erzielen. Ein gutes Beispiel für ein vielschichtiges Forschungsfeld des HZI, für das die strategischen Ziele eine wichtige Rolle spielen, ist die Mikrobiota-Forschung: Wir lernen immer mehr darüber, wie unglaublich divers und komplex zum Beispiel die Besiedelung unseres Darms ist mit einer Fülle unterschiedlicher Bakterien und Bakteriophagen, die zusammen und im Wechselspiel mit uns als Wirt leben und unsere Gesundheit prägen. Wichtig ist dabei, nicht nur zu untersuchen, wer dort alles lebt, sondern auch, wer mit wem kommuniziert und wer wen verdrängt. Über welche Mechanismen beeinflusst das unsere Gesundheit, unser Immunsystem und unter welchen Bedingungen gerät das aus dem Ruder?

Welche konkreten Forschungsthemen geht das HZI an?
Das Thema antimikrobielle Resistenzen verfolgen wir mit voller Kraft; das schließt Grundlagenforschung, Wirkstoffforschung und -entwicklung und neue Diagnoseverfahren bei relevanten resistenten Bakterien, beispielsweise Pseudomonaden, ein. Wir erforschen auch, wie Mikrobiota unsere Gesundheit beeinflussen und welche Faktoren schwere Infektionsverläufe bedingen. Langfristig wollen wir so neue Wege für Prävention und Therapie aufzeigen und Schritte hin zu einer individuellen Infektionsmedizin gehen. Zusammen mit mehreren HZI-Gruppen arbeite ich an einem Impfstoffkandidaten gegen Hepatitis C, den wir präklinisch profilieren, sodass er für klinische Studien in Frage kommt. Am HIRI möchten wir mit viel Innovation ein ganz neues Verständnis davon erarbeiten, wie RNA-Moleküle Infektionen steuern. Unsere Epidemiolog:innen entwickeln innovative Systeme für die Überwachung und das Management von Infektionsausbrüchen. Sie sind damit wichtige Partner für die Expert:innen am neu gegründeten HIOH, wo in Zukunft ganzheitlich die Einflussfaktoren erforscht werden, die das Auftreten neuer bzw. resistenter Erreger begünstigen. Die Pandemie zeigt, wie wichtig diese Forschung ist, und hat zudem bewirkt, dass sich viele HZI-Teams intensiv mit SARS-CoV-2 und weiteren respiratorischen Viren befassen. 

Welche Vorteile bietet die Programmforschung dabei?
Der größte Vorteil programmatischer Forschung ist, dass man zusammen forscht. Die Forschungsgruppen wirken nicht nur als individuelle Spieler, sondern bringen ihre Fachkompetenz ein, um größere und komplexe Fragestellungen zu lösen. Dadurch vereinen wir eine viel größere kritische Masse hinter wichtigen Projekten. Außerdem ist es so leichter, viele Disziplinen zu verbünden, die man häufig aufgrund der Komplexität der Projekte und der heutigen Technologien braucht, um wirksam forschen zu können. Durch beides erreicht man mehr Tiefe und kann eine größere Wirkung erzielen, um gesellschaftlich relevante Ziele zu erreichen.

Das HZI ist als einziges Helmholtz-Zentrum im Programm Infektionsforschung aktiv. Erschwert das die Bildung einer kritischen Masse?
Wir hatten das Glück, dass wir in den letzten Jahren gezielt wachsen und neue Institute gründen durften. Das macht uns schlagkräftiger in den Themen, die wir uns gesucht haben: zum Beispiel Antiinfektiva-Forschung, molekulare Diagnostik, Epidemiologie, Impfstoffforschung bei ausgewählten Erregern – und das immer ausgehend von einer starken Grundlagenforschung. Es gibt aber auch Limitationen in der programmatischen Forschung: Man ist nicht ganz so frei, weil man sich einem Programm inhaltlich verschreibt. Dazu kommt eine höhere Komplexität im Management, weil viele Menschen kooperativ aufeinander zugehen und zusammenwirken müssen. Dennoch bin ich sicher, dass starke und klug vernetzte Verbundforschung ein wesentlicher Schlüssel dafür ist, die großen Herausforderungen im Bereich von Infektionen zu lösen. Außerdem hat die Covid-19-Pandemie schön gezeigt, wie schnell und erfolgreich das HZI reagieren kann. Das war für mich sehr eindrucksvoll und liegt aus meiner Sicht daran, dass das HZI ein gutes Spektrum an Expertisen ansässig hat. Das beginnt bei der Epidemiologie, die sofort relevante Beiträge zum Pandemiemanagement leisten konnte. Dann die Einzelzellanalytik am HIRI – eine bahnbrechende Technologie, die zum Verständnis der Pathophysiologie beigetragen hat. Zudem leisten HZI-Teams wichtige Beiträge bei der Entwicklung von Diagnoseverfahren, Antikörpern und Wirkstoffen gegen das Virus. Und was natürlich noch hinzukommt, ist ein wahnsinnig großer Wille aller Beteiligten, etwas zu bewirken.

Gerade während der Pandemie werden Vorwürfe geäußert, die Wissenschaft tue nur, was die Politik ihr aufträgt. Wie sehen Sie diese Kritik?
Ich teile diese Meinung in jedem Fall nicht. In Deutschland haben wir ein hohes Gut mit der Freiheit der Wissenschaft, insbesondere an den Universitäten, aber auch bei uns. Es gibt viele Förderinstrumente, über die man sein eigenes, kreatives Konzept entwickeln und um Förderung bitten kann. Dadurch gibt es viele Möglichkeiten, frei zu forschen. Auch unser Forschungsprogramm haben wir ja selbst geschnitzt – natürlich von Gutachtern bewertet. Aber wir konnten für uns auswählen, wo wir stark sein wollen und können.

Mit dem Programmboard wurde 2021 ein neues Gremium am HZI gebildet, dem Sie als Programmsprecher vorstehen. Machte die Neufokussierung auf SARS-CoV-2 die Gründung notwendig?
Direkt mit der Pandemie hatte die Gründung nichts zu tun, sondern eher mit dem Wachstum unseres Programms und des HZI mit all seinen Organen – den Familienmitgliedern, wie ich die Institute gern nenne. Letztendlich hat unser Geschäftsführer Dirk Heinz den Impuls gegeben, unsere Gremien neu zu ordnen, und das Programmboard als neues wissenschaftliches Gremium vorgeschlagen, das sich um die Pflege des Forschungsprogramms kümmert. Ich persönlich finde, dass dies ein kluger Schachzug ist. Damit alle Gruppen bestmöglich zusammenarbeiten, braucht es Koordinierung und einen regelmäßigen Informationsfluss. Das Programmboard soll dies vermitteln und über die Jahre begleiten, damit nicht das linke Bein in die eine Richtung geht und das rechte Bein in eine andere. Wir schauen, wo wir Impulse geben können, helfen bei Berufungen und haben eine beratende Funktion für das Direktorium. So wird eine Meinung der Forschenden transportiert, wie sich das Programm entwickeln soll. Um den größtmöglichen Austausch zu erzielen, gehören zum Programmboard neben den Topic-Sprecher:innen auch die Sprecher:innen der Research Foci, die in permanentem Austausch mit den Leiter:innen der Forschungsgruppen stehen. Darüber hinaus sind als Gäste neben der Geschäftsführung die Institutsleiter unserer Standorte dabei, die damit auch beratend Einfluss nehmen können, wie wir die Forschung weiterentwickeln. Das ist wichtig, damit die Interessen der Institute einfließen können. So haben wir ein unabhängiges Gremium, das die Belange der Forschung vertritt und diese an das Direktorium weitergibt. Ich finde diese Trennung der Aufgaben gut und wichtig.

Welche Themen diskutieren Sie aktuell?
Das Programmboard widmet sich den Inhalten der Forschung, der strategischen Entwicklung, Anbahnung von Kooperationen und auch der Entwicklung von Instrumenten, um die Forschung zu fördern. Zum Beispiel haben wir den Projekt-Call „Creativity-Cooperativity-Fund“ begleitet, ein HZI-internes Förderinstrument. Wie dieser Call ausgestaltet werden soll, haben wir diskutiert, beraten, abgestimmt. So haben wir jetzt zehn kreative und innovative Projekte auf den Weg gebracht, die als Kooperation zwischen Forschungsgruppen des HZI und seiner Standorte laufen, um die HZI-Familie zu stärken. Als nächstes besprechen wir unser Forschungsprogramm intern in einem Mini-Symposium. Dort möchten wir sogenannte Flaggschiff-Projekte präsentieren. Das sind Projekte, bei denen interdisziplinär verschiedene Expert:innen zusammenkommen und gemeinsam etwas Größeres erreichen – ein Beispiel ist der Verbund für die Aufklärung der Prinzipien hinter der unterschiedlichen Infektanfälligkeit von Menschen. Durch Kooperation können wir die Mechanismen tiefer und umfassender verstehen und langfristig beitragen, neue Diagnose- und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Solche Projekte wollen wir sichtbar machen und beraten, damit sich weitere Expert:innen dem Thema anschließen. Das motiviert auch, sich in anderen Bereichen zusammenzutun, um gemeinsam mehr zu erreichen.

Wie sieht für Sie die Infektionsforschung der Zukunft aus?
Wichtig ist ein breites Spektrum in der Forschungsförderung, das von der programmatischen Forschung über industrienahe Forschung und die Förderung von Individualisten an Universitäten bis zur Universitätsmedizin reicht, wo direkt Ärzte an Patienten forschen. Wir brauchen dieses Portfolio, müssen uns aber noch besser vernetzen. Wir können noch darin wachsen, mehr Kapazitäten für Entwicklungen zu bilden, mehr Zusammenarbeit und Übergabepunkte mit Industriepartnern zu erzeugen und internationale Kooperationen voranzutreiben. Gerade hier hat die Covid-19-Pandemie gezeigt, wie wirksam und erfolgreich kooperative Forschung sein kann – und das in kürzester Zeit, wenn sich die richtigen Leute zu größeren Einheiten zusammenfinden.

Interview: Andreas Fischer

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Dr. Andreas Fischer
Wissenschaftsredakteur