Besonders im Blick haben die Forschenden die ersten Schritte der Virusinfektion und die sind trickreich. „Eine Gruppe unserer Immunzellen, die Makrophagen, reagiert mit einer starken Interferon-Antwort auf das Virus und leitet die Abwehr gegen HCMV ein. Allerdings liegen die Rezeptoren, mit denen die Makrophagen die Viren bemerken könnten, im Inneren der Immunzellen. Solange also Makrophagen nicht direkt von HCMV infiziert werden, erkennen sie seine Gegenwart gar nicht“, sagt die Wissenschaftlerin am Institut für Experimentelle Infektionsforschung Dr. Jennifer Becker. Die ersten Zellen, die HCMV infiziert, sind jedoch nicht die Immunzellen, sondern Epithel- und Endothelzellen in Nase, Mund und Blutgefäßen.
Um zu verstehen, was bei der Infektion mit HCMV tatsächlich geschieht, hat Jennifer Becker eine ganze Reihe von Experimenten mit menschlichen Zellen durchgeführt: zunächst hat sie Epithelzellen mit dem Virus infiziert und zu diesen infizierten Zellen Makrophagen für 24 Stunden hinzugegeben. Das Ergebnis war wie erwartet: die Makrophagen haben kein Interferon gebildet, denn ohne freies Virus, findet keine Infektion der Makrophagen statt und damit bleiben die Viren für den Rezeptor innerhalb der Makrophagen, der die Interferonproduktion einleitet, unsichtbar. „Infizieren wir jedoch die Makrophagen direkt mit dem Virus, reagieren sie so, wie wir das von Immunzellen erwarten und schütten Interferon aus, den Botenstoff, der dem Immunsystem den Virenangriff ankündigt und das Virus in Schach hält.“
Die Forschenden wissen: Humane Cytomegalieviren benötigen drei Tage für einen Vermehrungszyklus. Also haben sie in einem weiteren Experiment Epithelzellen mit HCMV infiziert und diese infizierten Zellen mehrere Tage lang gemeinsam mit gesunden Makrophagen kultiviert. „Ab jetzt wird es geheimnisvoll“, sagt Jennifer Becker, „denn bei der gemeinsamen Kultur von infizierten Epithelzellen und Makrophagen beobachten wir, dass das Virus stark gehemmt ist. Selbst nach mehreren Tagen Kultivierung sehen wir keine Infektion der Makrophagen, kein Interferon und auch nur wenige freie Viren.“ Irgendetwas – das nicht Interferon ist – hemmt das Virus und schützt die Makrophagen. Zudem haben die Forschenden beobachtet, dass für diesen Schutz die infizierten Epithelzellen und die Makrophagen räumlich nah beieinander sein müssen. Wird der Abstand zwischen den Zellen zu groß, funktioniert die Hemmung nicht mehr. Ob Makrophagen oder Epithelzellen diesen geheimnisvollen Faktor herstellen? Unbekannt. Sicher ist nur, dass beide Zellen dafür benötigt werden. „Dieser mysteriöse Faktor hemmt die Ausbreitung des Virus über einen längeren Zeitraum. Auf der Suche nach ihm haben wir die uns bekannten Mechanismen und Botenstoffe untersucht, aber weder Interferon noch andere klassische antivirale Faktoren stehen mit diesem Effekt in einem Zusammenhang“, sagt Jennifer Becker.
Jetzt betritt das TWINCORE-Team Neuland und wird sich mit modernsten Technologien auf die Spur dieses geheimnisvollen Faktors begeben, „denn vielleicht verbirgt sich dahinter ein ganz neuer antiviraler Mechanismus, der uns eine neue Perspektive für die Hemmung von Viren ermöglicht“, schließt Institutsleiter Prof. Ulrich Kalinke.
Originalpublikation:
Becker J, Kinast V, Döring M, Lipps C, Duran V, Spanier J, Tegtmeyer PK, Wirth D, Cicin-Sain L, Alcamí A, Kalinke U.:Human monocyte-derived macrophages inhibit HCMV spread independent of classical antiviral cytokines.Virulence (2018), doi: 10.1080/21505594.2018.1535785.