
Wenn die Wildnis auf den Tisch kommt
An dem von der Volkswagenstiftung geförderten Projekt, das von 2023 bis 2027 laufen wird, sind zwei ivorische Doktoranden der HIOH-Abteilung „Ökologie und Entstehung von Zoonosen“ maßgeblich beteiligt. Sie wollen herausfinden, welche Tierarten zum Verzehr angeboten werden und welche potenziellen Zoonoseerreger sie tragen. Während ihres Promotionsprojekts sind der Genetiker Nea Yves Noma (genannt Noma) und der Tierarzt und Epidemiologe Gbohounou Fabrice Gnali (Fabrice) eng in ein großes internationales und interdisziplinäres Netzwerk unter der Leitung des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz (Deutschland) eingebunden.

Doktorand am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, Gastwissenschaftler am HIOH und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Genetik der Felix Houphouet Boigny Universität Abidjan, Côte d‘Ivoire.

Doktorand an der Ecole Inter-Etat des Sciences et Médecine Vétérinaires de Dakar, Senegal, und derzeit Gastwissenschaftler am HIOH.
Worum geht es in eurem Forschungsprojekt? Was wollt ihr herausfinden?
Fabrice: Unsere Forschung konzentriert sich in erster Linie auf das Risiko der Übertragung von Zoonoseerregern durch den Verzehr von Wildtieren (Bushmeat). Bushmeat kann eine Quelle für Krankheitserreger sein, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, und der Umgang mit Bushmeat und sein Verzehr können somit das Auftreten von Zoonosen begünstigen.
Noma: Wir versuchen herauszufinden, welche Tiere in Restaurants (sogenannten Maquis) als Lebensmittel verkauft werden und welche potenziellen Krankheitserreger mit diesen Tieren in Verbindung gebracht werden. Unsere Studienstandorte sind Liberia und Côte d'Ivoire in Westafrika.
Warum ist das wichtig?
Noma: Das ist wichtig, weil Wildtiere mit gefährlichen Krankheitserregern in Kontakt kommen können, insbesondere in tropischen Wäldern. So wurden zum Beispiel der Erreger von Milzbrand, das Mpox-Virus und das Ebola-Virus in unserem Untersuchungsgebiet gefunden. Wir müssen wissen, welche Krankheitserreger in unserer Umwelt vorkommen und mit Bushmeat in Verbindung gebracht werden, um das Bewusstsein für die Gefahren zu schärfen, die der Verzehr von Bushmeat für die menschliche Gesundheit mit sich bringen kann. Darüber hinaus wollen wir auf die Risiken aufmerksam machen, die mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt verbunden sind.
Fabrice: Vor dem Hintergrund, dass rund 60 % der menschlichen Krankheitserreger zoonotischen Ursprungs sind und etwa 75 % von ihnen aus Wildtieren stammen, kann die genauere Charakterisierung der Schnittstelle zwischen Erreger und Mensch uns wichtige Ansatzpunkte für Interventionen zur Verhaltensänderung in Bezug auf Bushmeat-Verzehr liefern. Dies könnte nicht nur das Risiko des Auftretens von Zoonosen verringern, sondern auch den Druck auf die Wildtiervielfalt in unserem Untersuchungsgebiet reduzieren.
In welchen Regionen der Welt forscht ihr und welche Partner sind daran beteiligt?
Noma: Wir führen unsere Forschungen in den beiden Nachbarländern Côte d'Ivoire und Liberia durch, von unberührten und ländlichen Gebieten bis hin zu Stadtrandgebieten. Während die Bushmeat-Jagd in Côte d'Ivoire offiziell verboten ist, ist sie in Liberia noch erlaubt. Eines der Ziele dieses Projekts besteht darin, beide Länder miteinander zu vergleichen. Dadurch wollen wir herausfinden, wie unterschiedliche kulturelle Prägungen (die ein Anthropologe im Rahmen des Projekts ermittelt) und der rechtliche Rahmen den Verzehr von Bushmeat und damit die potenzielle Belastung durch Krankheitserreger beeinflussen.

Fabrice: Das interdisziplinäre Projekt bringt Partnerinnen und Partner aus der Veterinärmedizin, der Ökologie, der Anthropologie und der Verhaltensökonomie zusammen und wird vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz koordiniert. Weiterhin sind die Philipps-Universität Marburg, die École inter-États des Sciences et Médecine Vétérinaires de Dakar (EISMV, Senegal), die Université Jean Lorougnon Guede de Daloa (UJLOG, Côte d'Ivoire) und das Centre Suisse de Recherche Scientifique in Abidjan (CSRS, Côte d'Ivoire) dabei. Das Projekt wird von der deutschen Volkswagenstiftung finanziert.
Welche Tools und Technologien sind für eure Arbeit unerlässlich?
Fabrice: Unsere Arbeit erfordert einen multidisziplinären Ansatz und den Einsatz verschiedener Instrumente und Technologien, einschließlich molekulardiagnostischer Verfahren wie Next Generation Sequencing (NGS) und Metabarcoding. Zusätzlich zu diesen umweltbezogenen Methoden verwenden unsere Partner im Konsortium auch sozioökonomische Methoden wie Fragebögen und Interviews, um Risikofaktoren zu bewerten, indem sie die Menschen zu ihren Gewohnheiten befragen.
Noma: Um bei unseren Feldeinsätzen Proben zu sammeln, verwenden wir Tupfer (Swabs) um Abstriche vom Fleisch und von Oberflächen in den Restaurants zu nehmen, z.B. von Tischen, Küchengeräten usw. Außerdem stellen wir Netze auf, um Fliegen zu fangen. Diese können die DNA der in den Restaurants angebotenen Tiere mit sich tragen, aber auch DNA-Spuren der möglicherweise enthaltenen Krankheitserreger. Wir haben auch Proben vom Buschfleisch selbst genommen, sofern uns das erlaubt wurde. Aus all diesen Proben extrahieren wir die DNA um anschließend die angebotenen Tierarten zu bestimmen und nach Krankheitserregern zu screenen.
In welcher Phase eures Projekts seid ihr gerade? Was habt ihr bisher herausgefunden?
Noma: Wir haben unsere erste Mission in Côte d'Ivoire im September 2024 beendet und haben vor kurzem die DNA aus den in den Restaurants entnommenen Abstrichen extrahiert. Derzeit analysieren wir die Sequenzen um zu sehen, welche Säugetiere vermarktet werden. Als nächstes werden wir in denselben Proben nach potenziellen Krankheitserregern suchen. Diese erste Reihe von Analysen soll bis Herbst 2025 abgeschlossen sein.
Fabrice: Insgesamt haben wir bei unserem ersten Einsatz Proben von 15 verschiedenen Tierarten genommen, die als Bushmeat verkauft wurden. Dazu gehörten vor allem Agouti und Ratten, aber auch unter anderem Viper, Affe, Stachelschwein, Gazelle, Zibetkatze, Krokodil, Ducker und Hirsch. Wir arbeiten derzeit an den Analysen im Labor. Der nächste Schritt ist die Vorbereitung der Feldarbeit für unsere Probenahme in Liberia von Oktober bis Dezember 2025, die zweite und letzte unserer Missionen in diesem Projekt.
Verlaufen eure Untersuchungen wie geplant? Gab es Überraschungen oder Herausforderungen?
Fabrice: Unser Arbeitsprogramm liegt im Zeitplan. Zwar hatten wir anfangs kleinere technische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Anpassung des Protokolls zur DNA-Extraktion an unsere Abstrichproben und einige der administrativen Vorbereitungen für unsere Mission in Liberia sind knifflig, aber diese Probleme lassen sich leicht lösen. Eine fundamentalere Herausforderung ist es, so lange von meiner Familie getrennt zu sein, insbesondere für meine Kinder und meine Partnerin. Ich bin für insgesamt sechs Monate in Deutschland. Aber wir schaffen das, indem wir uns immer wieder daran erinnern, dass dieser Beruf eine Berufung für mich ist. Ansonsten war und ist mein Aufenthalt in Deutschland sehr gut organisiert und angenehm dank meines Betreuers Dr. Lorenzo Lagostina, des HIOH-Welcome-Teams und der großen HIOH-Familie, zu der auch mein Landsmann und Kollege Noma sowie andere afrikanische Kollegen gehören. Ich hoffe, dass ich vielleicht einmal wiederkommen kann, wenn es wärmer ist…
Noma: In der Wissenschaft kann jeder Arbeitsplan irgendwann auf Schwierigkeiten stoßen - das ist ganz normal. Zum Beispiel kann es manchmal schwierig sein, Restaurantbesitzer davon zu überzeugen, an unserer Studie teilzunehmen und uns zu erlauben, Proben aus ihrem Maquis und von ihrem Fleisch zu nehmen. Zumal wir sie für ihre Teilnahme nicht bezahlen, um den Handel und den Konsum von Bushmeat nicht zu fördern. Das ist ein sehr heikles Thema. Aber in der Regel gelingt es uns ganz gut. Während meines Forschungsaufenthalts in Deutschland waren die einzigen Schwierigkeiten, auf die ich gestoßen bin, die Sprachbarriere (ich bin ein absoluter Anfänger in Deutsch) und natürlich die große Entfernung zu meiner Familie und meinen Freunden, mit denen ich über soziale Netzwerke in Kontakt bleibe. Aber ich muss auch betonen, dass der Geist der Integration, der am HIOH herrscht, es mir ermöglicht hat, mich besser einzuleben und mich weniger weit weg von zu Hause zu fühlen - dafür möchte ich dem Direktor des Instituts, unserem Betreuer Lorenzo und dem ganzen wunderbaren Team aufrichtig danken.
Warum seid ihr Wissenschaftler geworden?
Noma: Ich wollte Wissenschaftler werden, weil ich die Natur liebe und neugierig darauf bin, diese Natur und unsere Interaktion mit ihr zu verstehen.
Fabrice: Ich wollte Forscher werden, weil dieser Beruf die Leidenschaft für Entdeckungen, das Bedürfnis, einen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft zu leisten, intellektuelle Anregung und Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Team verbindet. Außerdem wollte ich auch einen Beitrag zum Wohl meines Landes und der Welt im Allgemeinen leisten, der über meine Tätigkeit als Tierarzt hinausgeht (wenngleich dieser Hintergrund für meine Forschung eine gute Grundlage bildet).
Was sind eure Pläne im Anschluss an dieses Projekt?
Fabrice: Dieses Projekt zur Untersuchung potenzieller Krankheitserreger in Bushmeat, die Zoonosen verursachen können, ist ein guter Anfang, aber es gibt noch viele andere Biotope, in denen ebenfalls Zoonosen entstehen können. Am Ende dieses Projekts wird das Ziel sein, diese Untersuchungen in anderen Biotopen oder entlang anderer Gradienten fortzusetzen, um Eintrittspforten für Erreger zu identifizieren, das Bewusstsein zu schärfen und letztendlich ein gesünderes und nachhaltigeres menschliches Verhalten zu fördern.
Noma: Nach meiner Rückkehr nach Côte d'Ivoire werde ich die Erfahrungen und Fähigkeiten, die ich im Rahmen dieses Projekts erworben habe, in der Lehre an der Universität einsetzen. Außerdem möchte ich gemeinsam mit den verschiedenen Partnerinnen und Partnern des BehaviorChange-Projekts Teil eines wissenschaftlichen Netzwerks zur verbesserten molekularen Diagnostik von Tierproben bleiben, um die Forschungskapazitäten in meinem Land zu verbessern – denn wir haben noch viel zu tun.
Das Interview wurde auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.
Interview: Dr. Stephanie Markert
