Prof. Heinz, seit dem 23. März gilt in Deutschland ein Kontaktverbot, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 zu verlangsamen. Wie sinnvoll ist diese Maßnahme aus Ihrer Sicht?
Die Einschränkung der sozialen Kontakte halte ich aktuell für eine sehr wichtige Maßnahme, um den Krankenhäusern Zeit zu verschaffen und zu vermeiden, dass Intensivstationen von zu vielen Schwerkranken überrannt werden. Auch wenn dies im Alltag für viele sehr schwierig ist, sollten sich möglichst alle daran halten.
Hätte das Kontaktverbot schon früher ausgesprochen werden müssen?
Als die Zahl der Infizierten in Italien im Februar rasant stieg und dort immer mehr Menschen an der COVID-19-Erkrankung starben, zeichnete sich ab, dass auch Deutschland bald massiv betroffen sein würde. Zu dem Zeitpunkt hätten jedoch viele Menschen in Deutschland derart drastische Maßnahmen wie ein Kontaktverbot wahrscheinlich für übertrieben gehalten. Jetzt ist die Bedeutung dieser Maßnahme den Menschen auch hierzulande bewusst, daher halte ich den Zeitpunkt für passend. Neben der Einschränkung sozialer Kontakte müssen wir uns aber unbedingt auf weitere Bereiche konzentrieren: Insbesondere müssen wir die Menschen schützen, die im Fall einer Infektion ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken oder zu versterben. Das sind vor allem Ältere, Immungeschwächte und Patienten mit Vorerkrankungen. Essenziell ist auch, dass die medizinische Versorgungkapazität für Schwerkranke weiter gestärkt wird und dass das medizinische Personal bestmöglich vor einer Ansteckung geschützt wird. Hier mangelt es derzeit an ausreichend Atemschutzmasken und anderer Schutzausrüstung. Dieser Engpass muss dringend behoben werden. Denn fällt das medizinische Personal aus, könnten Schwerkranke nicht mehr optimal versorgt werden.
Wie könnte eine solche Unterstützung aussehen?
An der Stelle muss die Politik sicherstellen, dass die vorhandene Schutzausrüstung nicht auf einmal überteuert verkauft wird. Außerdem könnten Unternehmen, die gerade ihren Betrieb heruntergefahren und noch Schutzmasken in größerer Stückzahl haben, diese jetzt den Kliniken spenden. So stellt das HZI dem Klinikum Braunschweig zum Beispiel PCR-Maschinen und das zur Bedienung erforderliche Personal zur Verfügung, um zusätzliche Kapazitäten für Tests auf das Coronavirus zu schaffen. Auf einen von uns gestarteten Aufruf beteiligt sich jetzt unter anderem auch die Technische Universität Braunschweig daran.
Wie stellt das HZI seine Forschung zu SARS-CoV-2 auf?
Wir sind am HZI so aufgestellt, dass wir schnell auf aktuelle Infektionsereignisse reagieren können. So haben wir inzwischen unsere vorhandene virologische, chemische und epidemiologische Expertise stark auf SARS-CoV-2 fokussiert. Das digitale Seuchen-Management-Tool SORMAS, das auf Mobilfunkbasis funktioniert, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unserer Epidemiologie-Abteilung in kürzester Zeit um ein Modul zur Erfassung von Corona-Ausbrüchen erweitert. Der Leiter unserer Epidemiologie, Gérard Krause, arbeitet gerade gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut daran, SORMAS in deutschen Gesundheitsämtern auszurollen. Mit unserer Wirkstoffplattform suchen wir ganz intensiv nach einem Mittel gegen das neuartige Coronavirus. In unseren Sicherheitslaboren testen Virologen die Wirksamkeit solcher Substanzen an echten Coronaviren, die wir mittlerweile erhalten haben. Zudem untersuchen wir künftig Serum-Proben von Patienten, welche die COVID-19-Erkrankung schon überstanden haben. Sie haben Antikörper gebildet, anhand derer wir feststellen können, ob diese Personen immun sind. Im Moment gehen wir davon aus, dass man sich nicht zweimal mit SARS-CoV-2 anstecken kann. Das HZI koordiniert nun eine groß angelegte Bevölkerungsstudie mit weit über 100.000 Probanden, um ein genaueres Bild zur Immunität und der Pandemieentwicklung zu erhalten.
Wird aus dem HZI jetzt ein „Coronavirus-Zentrum“?
In der jetzigen Extremsituation geht es darum, alles an die Pandemiebewältigung zu setzen, um die Corona-Krise schnellstmöglich zu bewältigen. Hier engagieren sich HZI-Forscherinnen und -Forscher in bewundernswerter Weise und mit vielen hochgradig innovativen Ansätzen. Dies bedeutet aber in keiner Weise, dass unsere bisherigen Forschungsschwerpunkte, für die wir erst kürzlich in einer Begutachtung internationale Anerkennung erhalten haben, keine Rolle mehr spielen. Sie verlieren keineswegs an Bedeutung, sondern werden nun durch einen weiteren Schwerpunkt – die Coronavirus-Forschung – ergänzt.