„Das ist ein besorgniserregender Zustand, den es dringend gilt, anzugehen“, sagt Prof. Dr. Mathias Pletz, Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie (PEG) und Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. „Wir sind gerade dabei, die Errungenschaften der modernen Medizin wieder zu verlieren und in die Zeit vor der Entdeckung von Penicillin zurückzufallen. Infektionen sind die dritthäufigste Todesursache, und die Zahl der Patientinnen und Patienten, die für Infektionen anfällig sind, nimmt aufgrund der Alterung der Gesellschaft aber auch aufgrund der Fortschritte in der Krebs- und Rheumatherapie sowie der Implantatchirurgie kontinuierlich zu. Der gesicherte Zugriff auf wirksame Antibiotika ist daher eine Notwendigkeit für die moderne Medizin und die alternde Gesellschaft“, so Pletz weiter. „Aber die Antbiotikawirksamkeit wird durch die Resistenzausbreitung zunehmend gefährdet. Wir müssen verstehen, dass Antibiotikaresistenzentwicklung ein natürlicher Prozess der Evolution ist, der nicht aufgehalten, sondern durch den klugen und zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika nur verlangsamt werden kann. Wir brauchen daher fortlaufend neue, resistenzbrechende Antibiotika“, fügt Pletz hinzu.
Bei der 29. Jahrestagung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft richten deshalb Forschende, Klinikerinnen und Kliniker und Vertreterinnen und Vertreter der Pharmaindustrie einen dringenden Appell an die Bundesregierung, wirtschaftliche Regularien zu entwickeln, um die Entwicklung und Vermarktung von neuen Antibiotika dauerhaft zu ermöglichen. Sie verfolgen gemeinsam das Ziel, die Bedingungen für die Entwicklung neuer, resistenzbrechender Antibiotika zu verbessern.
„Die Forschungspipeline für neue Antibiotika ist so gut wie leer. Seit 2017 wurden nur zwölf neue Antibiotika zugelassen, von denen zehn zu schon bestehenden Klassen gehören, gegen die sich bereits antimikrobielle Resistenzmechanismen herausgebildet haben“, erklärt DZIF-Professor Mark Brönstrup, Arbeitsgruppenleiter im Forschungsbereich „Neue Antibiotika“ des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) und Leiter der Abteilung “Chemische Biologie” am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI). Der Grund: Die Pharma-Unternehmen geben mehr und mehr die Antibiotikaentwicklung und -produktion auf. Die üblichen Marktmechanismen funktionieren bei Antibiotika nicht, da diese nur sehr restriktiv eingesetzt werden dürfen, um die Entstehung neuer Resistenzen hinauszuzögern. Somit können nur sehr kleine Mengen verkauft werden – der erzielbare Umsatz deckt bei weitem nicht die Kosten der Entwicklung und Vermarktung der Antibiotika.
„Deshalb müssen wir andere Mechanismen finden, um die Entwicklung neuer, resistenzbrechender Antibiotika anzuregen und finanzierbar zu machen. Notwendig sind dafür neue Vergütungsmodelle, die vom Antibiotika-Verkauf entkoppelt sein müssen“, sagt Harald Zimmer, Sprecher des Deutschen Netzwerks gegen Antimikrobielle Resistenzen (DNAMR) und Senior Referent des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). So gibt es beispielsweise Diskussionen über die Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Verlängerung des Exklusivverkaufs eines anderen Medikaments, was dem Unternehmen, das ein neues Antibiotikum entwickelt hat, zugutekämen.
Auf der PEG-Tagung werden auch Therapien mit Bakteriophagen und der Einsatz von Wirkstoffen, die Bakterien schwächen und damit ihre krankmachende Wirkung verhindern (Pathoblocker), als mögliche künftige Alternativen zu Antibiotika vorgestellt. Die Etablierung neuer Marktmechanismen bei Antibiotika und die Erforschung von alternativen Antiinfektiva sind angesichts der zunehmenden Resistenzen unerlässlich.