Systembiologie – hier geht’s ums Ganze

Ein Pipettierroboter im HZI-Labor.
Ein Pipettierroboter im HZI-Labor.

Ziel der Systembiologie ist, die dynamischen Vorgänge des Lebens und die biologischen Systeme mit Hilfe mathematischer Modelle zu beschreiben.

Genomics, Proteomics, Transcriptomics, Interactomics – das „omics“-Zeitalter hat begonnen. All diesen Teildisziplinen ist gemeinsam, dass Wissenschaftler nicht nur die Rolle eines oder weniger Moleküle zu einem bestimmten Zeitpunkt untersuchen. Stattdessen erforschen sie die Gesamtheit; bei Genomics also die Gesamtheit aller Gene eines Organismus, das Genom; bei Proteomics die Gesamtheit aller Proteine, das Proteom.

Möglich wurde diese Herangehensweise durch die Entwicklung von Hochdurchsatzmethoden wie beispielsweise Genotypisierungen, Genexpressions-Microarrays und Massenspektometrie. Nur so sind die vielen notwendigen Messungen in überschaubarer Zeit möglich. Wie sehr sich die zum Einsatz kommenden Methoden weiterentwickelt haben, zeigt das Beispiel der Genomsequenzierung: Während die Sequenzierung des ersten menschlichen Genoms 13 Jahre dauerte, mehrere Milliarden Dollar kostete und Wissenschaftler rund um die Welt beschäftigte, kann heute ein Labor die gleiche Leistung innerhalb weniger Wochen für einige Tausend Dollar erbringen.

Bei diesem Vorgehen fallen enorme Datenmengen an. Hier kommt die Systembiologie ins Spiel: Sie kombiniert die „omics“-Technologien mit der Mathematik. Ziel der Systembiolog:innen ist, die dynamischen Vorgänge des Lebens und die biologischen Systeme mit Hilfe mathematischer Modelle zu beschreiben. Diese Modelle ermöglichen ihnen, Vorhersagen zu treffen, beispielsweise über Prozesse in einer lebenden Zelle. So können Forscher:innen im Labor gezielt Experimente durchführen und die Hypothesen überprüfen. Da Modellierungen und Laborexperimente aufeinander aufbauen, werden die mathematischen Modelle ständig besser. Systembiologie ist folglich eine interdisziplinäre Forschungsrichtung.

Die noch junge Systembiologie entwickelt sich ständig weiter. Ihr Potential für die Biomedizin ist aber heute schon zu erkennen: Je besser Forscher:innen die komplexen Grundlagen von biologischen Prozessen und damit auch von Krankheiten verstehen, desto leichter können sie Angriffspunkte für Therapien finden. Auch die Entwicklung von Medikamenten könnte mit Hilfe der Systembiologie effizienter werden: Anstatt viele unterschiedliche therapeutische Angriffspunkte zu untersuchen und verschiedene Dosierungen von Wirkstoffen zu testen, können Wissenschaftler:innen diese am Computer simulieren und gezielt die vielversprechendsten Bedingungen im Labor überprüfen. Dieses strategische Vorgehen spart Zeit und Ressourcen.

Systembiologie ist außerdem die Grundlage für die personalisierte Medizin, die unter anderem die individuelle Genausstattung bei der Therapie von Krankheiten berücksichtigt. Nicht alle Menschen reagieren gleich auf Medikamente. Ziel der personalisierten Medizin ist es, diese Unterschiede zu ermitteln und so im  Vorfeld zu untersuchen, welche Therapie den einzelnen Patient:innen am besten helfen kann.

BRICS in Braunschweig.
BRICS in Braunschweig.

Auch in der Infektionsforschung ist es wichtig, die molekularen Zusammenhänge aufzudecken, um die Mechanismen von Infektionskrankheiten zu verstehen. Das HZI verfügt zum einen über Expertisen und die entsprechenden Geräte für die Genomanalytik und Proteomforschung. Bei der Bewältigung der Datenflut helfen Bioinformatiker:innen und Statistiker:innen. Die Abteilung System-Immunologie entwickelt schließlich ganz explizit mathematische Modelle, die Prozesse im Immunsystem beschreiben.

Um die Kooperation von Naturwissenschaftlern aus den verschiedensten Disziplinen zu fördern, haben das HZI und die Technische Universität Braunschweig das "Braunschweig Integrated Centre for Systems Biology" (BRICS) gegründet. Die BRICS-Arbeitsgruppen werden mathematische Modelle nutzen, um neue Anti-Infektiva und biotechnologische Produktionsverfahren zu entwickeln.

(bma)