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Szenarien für den Verlauf der SARS-CoV-2-Pandemie im Winter 2022/23

HZI-Forscherinnen modellieren als Teil eines bundesweiten Netzwerks mögliche Verläufe der Corona-Pandemie

Das Modellierungsnetz für schwere Infektionskrankheiten ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Netzwerk von sieben großen Verbundprojekten in Deutschland. Dieses hat nun in einem Kurzstatement drei mögliche Szenarien für den Verlauf der Corona-Pandemie im kommenden Herbst und Winter veröffentlicht. Dr. Berit Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), ist als Leiterin des Modellierungsverbundes RESPINOW Mitglied im Steuerungsgremium des Modellierungsnetzes. Sie übernahm mit ihrem Team auch eine der Simulationen für die Veröffentlichung. Koordiniert wird das Modellierungsnetz durch Jun. Prof. Alexander Kuhlmann von der Universitätsmedizin Halle.

Aktuell steigen die Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bundesweit wieder deutlich – wie bereits im Herbst der beiden vergangenen Jahre. Damit einhergehend nahmen in den Vorjahren auch die Fälle mit schwerem Verlauf, Hospitalisierungen und Sterbefälle zu. Es kam zu Überlastungen im Gesundheitswesen, die Eindämmungsmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen erforderlich machten. Doch wie sieht die Ausgangslage für den bevorstehenden Herbst und Winter aus? Inzwischen ist ein Großteil der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 geimpft, fast die Hälfte war mindestens einmal nachweislich mit dem Virus infiziert. „In Erhebungen aus Bevölkerungsstudien, die wir und andere durchgeführt haben, haben wir darstellen können, dass die Mehrheit der Bevölkerung vermutlich einen moderaten bis hohen Schutz gegen den schweren Verlauf einer SARS-Cov-2-Infektion aktueller Varianten hat. Wir sehen aber auch, dass es noch relevante Lücken in bestimmten Bevölkerungsgruppen und Regionen gibt“, sagt Berit Lange. Die erwähnten Daten wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens IMMUNEBRIDGE erfasst und sind in diese Modellierungen bereits eingegangen. „Eine neue Virusvariante mit ähnlicher Pathogenität wie die Delta-Variante 2021 oder ähnlicher Immunevasivität wie die Omikron-Varianten in diesem Jahr könnte den in der Bevölkerung bestehenden Schutz aber umgehen und zu einer Herausforderung für das Gesundheitssystem werden.“

Die Wissenschaftler:innen des Modellierungsnetzes haben für eine genauere Einschätzung der möglichen Situation drei verschiedene Szenarien definiert, die sich im Auftreten und der Übertragungsdynamik neuer Virusvarianten sowie dem Risiko für schwere Infektionen unterscheiden. Anschließend erfolgten Berechnungen des potenziellen Infektionsgeschehens, der Belastung der Krankenhäuser und der Effektivität von Impfkampagnen mithilfe von computerbasierten Simulationen.

 Um schnell auf eine sich ändernde Infektionsdynamik reagieren zu können, sind eine regionale Überwachung der Infektionslage und das Monitoring neuer SARS-CoV-2-Varianten unter Einbeziehung epidemiologischer Daten der Infektionsausbreitung wichtig.

Berit Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologie am HZI und des Modellierungsverbundes RESPINOW

Das erste Szenario geht davon aus, dass keine neue Virusvariante auftritt. Die Simulationen ergaben, dass in diesem Fall die im Winter zu erwartende Infektionswelle wahrscheinlich zu keiner übermäßigen Belastung der Krankenhäuser führen würde. Aufgrund zahlreicher Infektionen könnte es jedoch zu Personalengpässen in kritischen Infrastrukturen kommen. Das zweite Szenario nimmt an, dass sich eine neue Virusvariante durchsetzt, die zwar den bisherigen Immunschutz teilweise umgeht, aber kein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe aufweist. Die Folge wäre voraussichtlich eine Belastung des Gesundheitssystems in der Größenordnung der bisherigen Spitzenwerte während der Omikron-Welle Anfang 2022 und ein umfangreicher Personalausfall durch hohe Inzidenzen. Das dritte Szenario geht von einer neuen Virusvariante aus, die den Immunschutz der Bevölkerung umgeht und zusätzlich zu mehr Erkrankungen mit schwerem Verlauf führt, ähnlich zur Delta-Variante 2021. In diesem Fall könnten die bisher erreichten Spitzenwerte der Krankenhausbelastung in der Pandemie deutlich überschritten werden.

Zudem zeigten die Simulationen für alle Szenarien, aber besonders für das zweite und dritte Szenario, dass eine im Oktober beginnende Impfkampagne – zum Beispiel mit angepassten Impfstoffen – die Zahl der COVID-19-bedingten Krankenhausbehandlungen maßgeblich reduzieren könnte. Allerdings könnte gerade im dritten Szenario eine Änderung der Impfstrategie unter Umständen nicht ausreichen, um unterhalb der bisherigen Spitzenwerte bei Krankenhausbelegungen zu bleiben. „Um schnell auf eine sich ändernde Infektionsdynamik reagieren zu können, sind eine regionale Überwachung der Infektionslage und das Monitoring neuer SARS-CoV-2-Varianten unter Einbeziehung epidemiologischer Daten der Infektionsausbreitung wichtig“, sagt Lange. „Die bestehenden Modelle entwickeln wir im Modellierungsnetz kontinuierlich weiter und können so im Falle einer neuen Virusvariante schnell Vorhersagen zum weiteren Verlauf treffen. Grundsätzlich ist es sehr wichtig, dass wir in Deutschland jetzt eine Infrastruktur wie das Modellierungsnetz haben, die in der Lage ist, solche Zusammenführungen von Modellierungen unterschiedlicher Gruppen unter Nutzung aktueller Daten aus Bevölkerungsstudien schnell durchführen und kommunizieren zu können.“

Originalpublikation:

Berndt, Jan Ole; Conrad, Tim; Hasenauer, Jan; Karch, André; Kheifetz, Yuri; Kirsten, Holger; Krueger, Tyll; Kühn, Martin J.; Kuhlmann, Alexander; Lange, Berit; Leithäuser, Neele; Loeffler, Markus; Mikolajczyk, Rafael; Mohring, Jan; Müller, Sebastian; Nagel, Kai; Priesemann, Viola; Rodiah, Isti; Scholz, Markus; Schütte, Christof; Timm, Ingo J.; Valdez, André Calero: Szenarien für den Verlauf der SARS-CoV-2-Pandemie im Winter 2022/23 - Ergebnisse eines Workshops des Modellierungsnetzes für schwere Infektionskrankheiten (Modellierungsnetz) (1.0). 2022; Zenodo. DOI: 10.5281/zenodo.7126032

IMMUNEBRIDGE:

  1. Datenset:
    Lange, Berit; Jäger, Veronika; Rücker, Viktoria; Hassenstein, Max; Harries, Manuela; Berner, Reinhard; Blaschke-Steinbrecher, Sabine; Brandhorst, Gunnar; Budde, Kathrin; Fenzlaff, Marc; Rosenkranz, Daniel; Schattschneider, Mario; Schäfer, Christin; Streeck, Hendrik; Winter, Theresa; Nauck, Matthias; Petersmann, Astrid; Töpfner, Nicole; Heuschmann, Peter; Karch, André: Interimsanalyse des IMMUNEBRIDGE-Projektes zur Kommunikation von vorläufigen Ergebnissen an die Modellierungskonsortien der BMBF-geförderten Modellierungsplattform. 2022; Zenodo. DOI: 10.5281/zenodo.6968574
  2. Datenset:
     Lange, Berit; Jäger, Veronika K; Rücker, Viktoria; Harries, Manuela; Hassenstein, Max J; Dreier, Maren; von Holt, Isabell; Budde, Axel; Kurosinski, Marc-André; Armann, Jakob; Bartz, Antonia; Berner, Reinhard; Brandhorst, Gunnar; Brinkmann, Melanie; Budde, Kathrin; Deckena, Marek; Engels, Geraldine; Fenzlaff, Marc; Härtel, Christoph; Hovardovska, Olga; Kehl, Katja; Kohls, Mirjam; Krüger, Stefan; Meyer-Schlinkmann, Kristin M; Ottensmeyer, Patrick F; Reese, Jens-Peter; Rosenkranz, Daniel; Rübsamen, Nicole; Schlegtendal, Anne; Schattschneider, Mario; Schäfer, Christin; Schlinkert, Simon; Schulze-Wundling, Kai; Störk, Stefan; Tiemann, Carsten; Völzke, Henry; Winter, Theresa; Liese, Johannes; Brinkmann, Folke; Heuschmann, Peter; Nauck, Matthias; Petersmann, Astrid; Blaschke-Steinbrecher, Sabine; Toepfner, Nicole; Streeck, Hendrik; Karch, André: 2. Interimsanalyse des IMMUNEBRIDGE-Projektes zur Kommunikation von vorläufigen Ergebnissen an das Modellierungsnetz für schwere Infektionskrankheiten. 2022, Zenodo. DOI: 10.5281/zenodo.7177592

Weitere Informationen:

Webseite des Modellierungsverbunds RESPINOW